Andreas Kresbach für eine Leitkultur gegen den Populismus (Die Furche)

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Für eine Leitkultur gegen den Populismus

Man könnte sagen, mit dem weltweiten Vormarsch des Rechtspopulismus und Autoritarismus – Putin in Russland, Trump in Amerika, dazu noch Erdog an und die Erfolge der entsprechenden Parteien in Europa – herrscht ein neues globales Gleichgewicht des Schreckens. Wenn auch, wie nun in Frankreich und vielleicht auch in Österreich, neue politische Bewegungen erfolgreiche Alternativen zu diesem Trend bilden, bleiben die Grundbedingungen des Rechtspopulismus freilich weiter bestehen: die teilweise berechtigte Kritik am etablierten System in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Kultur, die ursprünglich noch bemühte Wutbürger motiviert haben mag, aber längst in eine Massenbewegung weitverbreiteter Frustration, Ressentiments und Aggression gekippt ist; der Stil der politischen Auseinandersetzung, der von einfachen Antworten auf komplizierte Sachverhalte (was man in Österreich ja schon lange kennt), Protest, Provokation, Radau und Hetze geprägt ist, die über ihre mediale Verbreitung in den sozialen Medien und dem Internet die Radikalisierung des gesellschaftlichen Klimas befeuern; das verbreitete Gefühl der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit sowie tatsächliche oder auch nur befürchtete Wohlstandsverluste durch Globalisierung und Massenmigration, die, verstärkt durch sich auflösende politisch-religiöse Orientierungen, diffuse Identitätsängste bei den Menschen entstehen lassen.

Diese Welle erfasst nicht mehr nur die sozial Abgehängten, Modernisierungsverlierer und Halbgebildeten, sondern zunehmend auch den ungefährdeten Mittelstand und die besser Situierten, siehe die Wahl in Amerika.

Bedrohte Demokratie

Mit den politischen Erfolgen dieser Protest-Gefühle bleibt der Rechtspopulismus eine Bedrohung für alles, was vor allem in den westlichen Gesellschaften jahrzehntelang an Grundwerten, Rechtsstaatlichkeit, politischer Kultur, an Pluralismus, Toleranz und öffentlichem Frieden als Voraussetzungen für den sozialen Zusammenhalt und den anhaltenden Wohlstand aufgebaut wurde. Dies alles scheint vom Rechtspopulismus, der mit demokratischen Werten seit jeher auf Kriegsfuß steht, zunehmend zur Disposition gestellt zu werden. So ist der Populismus jeglicher Art zur zentralen Herausforderung für die Demokratie geworden, weil sich täglich und zumal vor Wahlen die bange Frage stellt, wie weit – auch verantwortungsbewusste – Politiker dem Populismus nachgeben, um überhaupt (mehrheitlich) gewählt zu werden und dann trotzdem noch vernünftige Politik machen können.

Würde die Politik mehrheitlich nur mehr populistisch agieren und die entsprechenden Ankündigungen, Ideen, etc. dann auch umsetzen, hätte die Demokratie etwa mit der Zurücknahme vieler rechts- und sozialstaatlicher Errungenschaften wohl bald ausgedient.

Die Verheißungen der global einen Menschheit haben angesichts der Verwerfungen der Globalisierung und erst recht der Flüchtlingsströme zur weltweiten Ernüchterung geführt, statt wirtschaftlicher Integration stehen die Zeichen auf Abschottung, ja in Trumps Amerika mitunter sogar auf Handelskrieg. Die Idee des geeinten Europa ist im Dschungel von Bürokratie und Rechtsnormen nicht mehr erkennbar und auch gegenüber den globalen Krisenherden offenkundig machtlos. Wozu also noch übernational und pluralistisch denken und handeln? In dieser Unübersichtlichkeit der modernen Welt scheint die Antwort im Rückzug auf den Nationalstaat mit seinen sicheren Außengrenzen zu liegen, in Erinnerung an bessere Zeiten. Der Nationalismus ist ja nur die Erscheinungsform einer primitiven Sehnsucht nach einer vermeintlichen Idylle von früher, als der Nationalstaat die ganze erlebbare und überschaubare Welt darstellte.

Dazu kommt im Kontext der Migration die Aufforderung, von unserem Wohlstand etwas abzugeben, gar zu teilen, was natürlich als unerträgliche Zumutung empfunden wird. „Wir schaffen das“, dieser Appell an die eigenen Kräfte des Guten, ist in dieser Stimmungslage für immer mehr Menschen offenbar nicht nur eine Überforderung, sondern das negative Reizwort an sich geworden. Dass sich wohlhabende Gesellschaften in Wahrnehmung ihrer globalen Verantwortung und in einem bewältigbaren Ausmaß aber durchaus einiges zumuten könnten, wird von einer Politik, die mutlos und bequem auf die niedrigen Instinkte, sprich: die meisten Wählerstimmen, schielt, gerne ignoriert. Für die Zumutung einer mühsamen, aber konstruktiven Auseinandersetzung mit den großen Problemen, an deren Ende vielleicht ein halbwegs vertretbarer Kompromiss steht, fehlen eben schlicht Mut, Energie, Geduld, Konsenswillen und wahrscheinlich auch der Glaube an das gemeinsame Gute (der etwa die Gründerväter des EWG-Europa einst inspirierte).

Woher das alles kommt? Von der Lust am schnellen Erfolg vielleicht, speed kills, wie ja dieses tolldreiste Wort heißt. Die Beschleunigung des Alltags führt ja schon im persönlichen Leben vieler Menschen dazu, das Andere, Fremdartige, Langsame, Bedürftige in seiner Lebenswelt nicht schätzen oder gar integrieren zu können. Freilich darf man den Rechtspopulismus gar nicht erst in die Lage versetzen, sich im Recht zu fühlen. Nicht zuletzt deshalb ist es notwendig, die Migration nach Europa EU-weit zu regeln, zu kontrollieren und auf ein verkraftbares Ausmaß zu beschränken.

Islam unter Generalverdacht

Um dem Nationalismus quasi höhere Weihen zu verleihen, bedient sich der Rechtspopulismus auch gerne des Missbrauchs der eigenen Religion bei gleichzeitiger Herabwürdigung der jeweils anderen. So wird heute die Religion der Migranten – wie seinerzeit das Judentum -pauschal unter Generalverdacht gestellt und Hetze und Angst vor der „muslimischen Bedrohung“ geschürt. Diese vorgeschobene Sorge um das christliche Kulturerbe, die sich sonst herzlich wenig um Religion und Glaube kümmert, wird mit vermeintlich unantastbaren Referenzen auf das „christliche Abendland“ verschleiert. Bei diesem Abwehrkampf entsteht mitunter der Eindruck, dass, wo der persönliche Glaube fehlt oder verloren ging, wenigstens das öffentliche Leben die äußere Fassade der gewohnten „christlichen Traditionen“ aufrechterhalten soll. Die Einschränkung auf ein national verstandenes Kulturchristentum spricht aber vielmehr das heimatliche Gemüt an als es den kirchlichen Anliegen der Barmherzigkeit mit den Ärmsten, aber auch des interreligiösen Dialogs mit dem Islam entspricht.

Dazu hat sich in Zeiten des Wertewandels und um sich greifender Orientierungslosigkeit auch eine Unsicherheit über die eigene Identität breitgemacht. Wenn dann auch noch Migranten kommen, die ein vermeintlich klares geistigkulturelles Selbstbild haben, das das eigene scheinbar gefährdet, greift die altbekannte Sündenbock-Strategie. Der Rechtspopulismus zeigt sich damit als Sammelbecken eines fehlenden Selbstbewusstseins, das eine kollektive Selbstermutigung benötigt. In dieser Wir-oder-die-anderen-Fixierung ist freilich kein Platz für Vielfalt, Mitgefühl, Solidarität.

Wertekultur, nicht Folklore

Dabei ist es nicht nur aufgrund der Migration von Muslimen notwendig, sich der eigenen Kultur und Identität selbst zu vergewissern. Leben wir auch die Werte, die wir von anderen verlangen? Eine klar definierte, werteorientierte Leitkultur – eine europäische Wertekultur wohlgemerkt, nicht heimische Folklore – und das Bekenntnis zu dieser von Migranten einzufordern, ist jedenfalls die Voraussetzung für das Gelingen der Integration, da deren Akzeptanz sowohl die Aufnahmebereitschaft hierzulande als auch die Chancen auf erfolgreiche Eingliederung in die Gesellschaft erhöht. Die Versäumnisse in der Vermittlung der Leitkultur zeigen sich ja in den mangelnden Schulerfolgen und Sprachkenntnissen vieler junger Muslime, der Unterdrückung der Frauen bis zu Zwangsehen und nicht zuletzt in der großen Zustimmung beim Türkei-Referendum.

Eine selbstbewusste Vermittlung der Leitkultur könnte auch dem Rechtspopulismus den Wind aus den Segeln nehmen. Gleichzeitig kann eine wehrhafte Demokratie dem schleichenden Abbau der Grundwerte von freien Gesellschaften jedenfalls nicht tatenlos zusehen. Grundsätzlich müsste die Gegenstrategie zum vereinfachenden National-Populismus darin bestehen, die berechtigten Ängste etwa durch Bürger- und Protest-Foren als Plattformen für konstruktive Debatten ernst zu nehmen, ohne sich in Inhalt und Stil der Verhetzung anzubiedern, und die auf den Grundwerten basierenden Antworten auch öffentlichkeitswirksam zu kommunizieren. Gleichzeitig müssen Toleranz und sogenannte Meinungsfreiheit dort ihre Grenzen haben, wo der scheinbar rechtsfreie Wildwuchs der Intoleranz im Internet und in den sozialen Netzwerken die Demokratie und den Frieden gefährden.

(Die Furche vom 24.5.2017)

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