Die Mindestsicherung – ein Problem der Diskriminierung?

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Die jüngst hoch gekommene Diskussion über Sinn und Wirkung der Mindestsicherung, vor allem ihrer Höhe, ist ein Verdienst des Abgeordneten zum NR Sepp Schellhorn von den Neos. Erst sein Weg in die Öffentlichkeit setzte zum Missfallen von NGOs und mancher Parteien eine Auseinandersetzung in Gang, die notwendig und nützlich ist, auch wenn sich diese an einem Fall im Zusammenhang mit der Unterbringung von Flüchtlingen entzündete.

Die Mindestsicherung ist eine sinnvolle Maßnahme

Die Mindestsicherung ist jenes Netz der sozialen Absicherung, welches an unterster Stelle geknüpft ist. Sie ist ein Auffangnetz, welches Personen zusteht, die in Österreich einen gültigen Aufenthaltstitel haben und keine oder zu geringe Einkünfte erzielen und über kein Vermögen verfügen. Für einen Sozialstaat wie Österreich eine sinnvolle Maßnahme. Rechtsgrundlage ist ein sogenannter 15a Vertrag zwischen dem Bund und Ländern (BGBl. I Nr.96/2010). Die Länder haben die in dem Vertrag festgelegten sozialen Leistungen ihrem Inhalt nach, jedoch ihrem Umfang nach unterschiedlich festgelegt.

Das System der Mindestsicherung stellt auf den Bedarf für den Lebensunterhalt ab. Leben mehrere Personen in einem Haushalt zusammen, meist Familien, dann werden diese als Bedarfsgemeinschaft verstanden, für die für jeden von ihnen ein Betrag zur Bedarfsdeckung vorgesehen ist. Das bedeutet, je mehr Personen in einem Haushalt gemeinsam leben, also je mehr Kinder eine Familie hat, desto höher das Nettohaushaltseinkommen.

Die Familie in der Mindestsicherung – Beispiel Wien

In Wien bekommt demnach eine Familie mit 3 Kindern einen Betrag von EUR 22.947,19 (VO LGBl 39/2010 idF LGBl 5/2015). Es kann zusätzlich eine Mietbeihilfe beantragt und ausbezahlt werden. Zusätzlich stehen der Familie für die Kinder die Leistungen aus der Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag zu. Zusätzlich kann in einem Antragsverfahren der Alleinverdienerabsetzbetrag geltend gemacht werden. Der würde aber auf die Mindestsicherung anzurechnen sein, was nicht geschieht. Daher hat ein Haushalt Anspruch auf EUR 7.909 als Beihilfen, bei der Annahme, dass die Kinder zwischen 3 und 10 Jahre alt sind (Kinderabsetzbetrag: 58,4 x 3 x 12 = 2.102,40 (§ 33 Abs. 3 EStG); FB 116, 60 + 17 x 3 x 12 = 4.917,60 (§ 8 Abs. 2 Z 2 lit.b und Abs 3 Z 2 lit. b FLAG). Der AVAB ist mit EUR 889 als Negativsteuer auszubezahlen (§ 33 Abs. 4 EStG). Eine Familie mit 3 Kindern erhält in der Mindestsicherung EUR 30.856, 19 im Jahr.

Die Familie im Steuerrecht

Hingegen wird im Steuerrecht die Familie nicht als Sozial- und Risikogemeinschaft verstanden. Das strenge Individualsteuerprinzip, welches vor allem für Haushalte mit Kindern und einem Alleinverdiener verzerrende Wirkung hat, führt dazu, dass ein Alleinverdiener, um das gleiche Nettohaushaltseinkommen zu erreichen, rd. EUR 31.000 brutto, oder EUR 2.215 monatlich verdienen muss. Die Ehegattin und Kinder werden im Tarif nicht berücksichtigt. Lediglich ein Freibetrag pro Kind in der Höhe von EUR 440 im Jahr kann von der Steuerbemessungsgrundlage abgezogen werden (§ 106a EStG). Die Folge ist, dass bei diesem Jahresverdienst Abgaben in der Höhe von rd. EUR 8.200 zu leisten sind.

Der Haushalt erhält die gleichen Familientransfers wie die Familie in der Mindestsicherung. Im Ergebnis zahlt sich der Alleinverdiener die Transfers durch die Abgabenleistung selbst. Das Ergebnis ist die Diskriminierung der steuerzahlenden, arbeitenden Alleinverdiener und eine grobe Benachteiligung von Familien.

In Österreich sind die Familientransfers grundsätzlich als Ausgleich dafür konzipiert worden, dass eben vor allem die Unterhaltspflichten gegenüber Kindern nicht im Tarif berücksichtigt werden (VfGH 30.11.2000, B 1340/00, VfSlg. 16020; Zorn, Kinderunterhalt und Verfassungsrecht, SWK 2001, 799).

Das derzeitige System in Österreich benachteiligt besonders Familien im niedrigen Einkommenssektor gegenüber den Empfängern einer Mindestsicherung. Die Schieflage wurde dadurch verursacht, dass im Abgabenrecht mit dem strengen Individualsteuerprinzip vor allem Frauen gezwungen werden sollen, rasch wieder im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und die Gleichstellung der Kinder unabhängig vom Einkommen der Eltern durch Transfers gewährleistet werden soll.

Betrachtet man das im Abgabensystem innewohnende Konzept einer Nichtberücksichtigung von Haushaltsangehörigen im Steuertarif bei der Mindestsicherung nicht, dann ist die Benachteiligung offenbar gewollt und planerisch, wenn man die abgabenrechtlich geregelten Transfers zusätzlich zu den Sozialtransfers ausbezahlt. Wobei eine Auszahlung dann gerechtfertigt erscheint, wenn die Mindestsicherung nur dazu dient, Geringverdiener Transfers bis zur Höhe der Mindeststandards aus zu bezahlen (Aufstocker), weil auch diese Personen meist einer Beitragspflicht unterliegen.

Regelung in Deutschland

Die Regelung des deutschen SGB II (Sozialgesetzbuch II (genannt Hartz VI), BGBl. (2010) I 850, 2094 idF. BGBl. (2015) I 583), schließt in § 11 Abs. 1 SGB II ausdrücklich das Kindergeld in der Höhe von EUR 190 in die Sozialleistungen ein, damit es keine doppelte Berücksichtigung von Bedarfsleistungen gibt. Diese Regelung wurde vom deutschen Bundesverfassungsgericht als zulässig bestätigt (dBVG Beschluss vom 11.3.2010; 1 BvR 3163/09).

 

Gottfried Schellmann, Steuerberater

Herausgeber und Autor des Kommentars zur Körperschaftssteuer (Quantschnigg/ Renner/ Schellmann/ Stöger/ Vock, KStG 1988). Lektor an der FH Campus Wien, Lehrgang Tax Management.

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