Unfit to decide: Zur Pressefreiheit gehören klare Rahmenbedingungen. Ansonsten wird sie abstürzen.

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GermanWings-Katastrophe und Medien: Die Redaktionen müssen Entscheidungen treffen, auch wenn sie es ad hoc nicht können.

Man stelle sich vor: Im Hagel der Agenturmeldungen, der Kommuniqués und Nachrichtenhappen über soziale Medien, im Produktionsdruck, unter dem Eindruck der Katastrophe mussten Redaktionskonferenzen Chefredaktionen oder eilig zusammengerufene, informelle Leitungsgremien, unterstützt von Justitiaren oder auch nicht, eine weitreichende Entscheidung treffen: Wie sollten sie mit der Identität des Mannes umgehen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit das Flugzeug absichtlich am Boden zerschellen ließ und so sich selbst und 149 weitere Menschen tötete?

Die Frage ließ sich nicht einfach mit Ja oder nein beantworten. Bild oder kein Bild, wenn Bild, groß oder klein, nicht oder doch verpixelt? Den Namen nicht nennen, abkürzen oder ausschreiben? Sein Umfeld wie oder nicht sichtbar machen …?

Alle Medien haben gestützt auf gesetzliche Bestimmungen und ethische Richtlinien verantwortungsvoll entschieden. Doch, obwohl diese Regelwerke innerhalb eines Landes die gleichen und innerhalb der deutschsprachigen Nationen recht ähnlich sind, fielen die Entscheidungen sehr unterschiedlich aus – vom seitenfüllenden Titelfoto mit drastischer Headline („Amok-Pilot“) bis zur Nicht-Berichterstattung. Manche, wie der Spiegel Online, änderten sogar ihren Kurs. Wobei (weitgehend unausgesprochen) auch wirtschaftliche Erwägungen eine Rolle gespielt haben werden. Wer am Kiosk verkaufen muss, hat eine andere Grundstimmung als jene, die ihre Reputation als Qualitätsmedien wahren wollten. Aber auch die wirtschaftliche ist eine Verantwortung.

Dass die Entscheidungen aber so unterschiedlich sind, heißt aber, dass entweder einige falsch sein müssen oder gar keine richtige möglich war. Zumindest im zweiten Fall liegt die Schuld aber nicht an den entscheidenden Personen, sondern an mangelhaften, vagen Entscheidungsgrundlagen.

Medien- und Urheberrecht, Pressekodizes (zu deren Einhaltung sich viele Medienschaffende in ihren Dienstverträgen verpflichtet haben) und diverse Empfehlungen (etwa solche über die Suizidberichterstattung) zwingen zur Abwägung, zur Gewichtung. Die einzelnen Argumentationslinien haben kein festes Gewicht, man muss es ihnen geben. Damit wird die Entscheidung letztendlich zur Ermessenssache.

Selbst wenn wir einige Argumentationsstränge kappen, die ins Leere führen, kappen – die „Unschuldsvermutung“ und die „Vorverurteilung“ können nicht zum Tragen kommen, weil Tote nicht gerichtlich schuldig gesprochen und verurteilt werden – bleiben immer noch genug unterschiedliche Fragestellungen, auf die es keine endgültigen Antworten gibt.

Nehmen wir pars pro toto Ziffer 8 („Schutz der Persönlichkeit“) des deutschen Pressekodex her. „Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen“ heißt es dort. Das mag im gegenständlichen Fall zutreffen. Dort steht aber auch: „Liegen konkrete Anhaltspunkte für eine Schuldunfähigkeit des Verdächtigen oder Täters vor, soll auf eine identifizierende Berichterstattung verzichtet werden.“ Bei einem psychisch Kranken ist das gut denkbar. Und: „Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen, die Veröffentlichung von Fotos und die Schilderung näherer Begleitumstände.“ Dass sich der Co-Pilot der GermanWings-Maschine selbst absichtlich getötet hat, wird nahezu als unumstößliche Tatsache gehandelt.“

Nun ist diese Flugzeugkatastrophe so etwas wie ein „schwarzer Schwan“, ein zuvor schwer vorstellbares Ereignis von besonderer Tragweite“. Aber dass Selbstmörder andere mit in den Tod reißen, ist nicht so einzigartig. Dass sie Angehörige mit Schutzbedürfnissen haben, ebenfalls nicht.

Es wäre als wünschenswert, dass Medien in derartigen Krisensituationen einigermaßen stabile, ausreichend präzise Entscheidungsgrundlagen vorfinden. Sie selbst sollten sie mit angemessenem Abstand von akuten Katastrophen diskutieren schaffen, einfordern und durchsetzen. Das schränkt die Pressefreiheit nicht ein, sondern gibt ihr Halt.

Martin Novak war viele Jahre Journalist, darunter auch Gerichtsberichterstatter. Seit mehr als 20 Jahren ist er Kommunikations- und PR-Berater in Graz.

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