Wer braucht ein GRUG?

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Seit Jahren wird in Österreich versucht, eine Gesundheitsreform umzusetzen. Die ersten Versuche reichen bis ins Jahr 2005 zurück. Seit damals gibt es österreichweite Pläne, wie die Gesundheitsversorgung auszusehen hat.

Die erste Niederschrift dieser Ideen findet sich im Österreichischen Strukturplan Gesundheit (ÖSG) 2006. Der ÖSG beinhaltet die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens. Schon damals wurde festgeschrieben, dass Österreich im internationalen Vergleich zu viele Krankenhäuser besitzt und diese zu häufig konsultiert werden. Logischer Schluss war, die Krankenhausdichte zu senken.

Gleichzeitig wurde die Gesundheitsreform alle 2-3 Jahre mit den jeweiligen Jahreszahlen versehen (4. Revision ÖSG 2012 mit Planungshorizont 2020 konzipiert – Gesundheitsreform 2013). Ein zentraler Punkt in der Gesundheitsreform (aktuell Zielsteuerung-Gesundheit ab 2017) am aktuellen Diskussionsstand ist eine Stärkung der Primärversorgung.

Wie in Österreich üblich, vermeint die Regierung hierfür einen Gesetzestext zu benötigen: Hieß dieses Gesetz in der ursprünglichen Version „Primärversorgungsgesetz“, so trägt es nun den sperrigen Titel Gesundheitsreformumsetzungsgesetz 2017 (GRUG).

Braucht man für eine funktionierende Primärversorgung wirklich ein Gesetz?

Primärversorgung in der ursprünglichen Definition bedeutet einen niederschwelligem Zugang zur Gesundheitsversorgung. Das inkludiert nicht nur medizinische, sondern auch pflegerische und systemische Maßnahmen. Für Österreich typisch, wird die Definition der Primärversorgung in ein Gesetz geschrieben:

Die allgemeine und direkt zugängliche erste Kontaktstelle für alle Menschen mit gesundheitlichen Problemen im Sinne einer umfassenden Grundversorgung. Sie soll den Versorgungsprozess koordinieren und gewährleistet ganzheitliche und kontinuierliche Betreuung. Sie berücksichtigt auch gesellschaftliche Bedingungen. (§ 3 Z 9 Gesundheits-Zielsteuerungsgesetz).

Sehr schnell wurde von den Planern (führend das Bundesministerium für Gesundheit und Frauen) aus der Primärversorgung ein zugehöriges Zentrum. Die Planer stellen sich also vor, dass Primärversorgung in ein Zentrum gehört. Und beginnen nebstbei ohne Rechtsgrundlage auch solche zu bauen (vgl. Mariazell – PHC über die Hintertüre / Eintrag vom 2016-09-17).

Niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte für Allgemeinmedizin betreiben seit jeher Primärversorgung

Völlig vergessen wird dabei die Tatsache, dass die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte für Allgemeinmedizin in Österreich seit jeher Primärversorgung betreiben. Und zwar im Sinne der Erstbeschreibung aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts: Ärztin/Arzt für Allgemeinmedizin, diplomierte Pflege, vernetzt mit Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und weiteren Gesundheitsberufen (in Österreich liebevoll Gesundheitsdiensteanbieter – GDA – getauft) bilden ein Netzwerk rund um eine Ordination, das eine niederschwellige und auch effiziente Versorgung der Bevölkerung ermöglicht.

Dieses im Großen und Ganzen gut funktionierende Konzept soll nun Schritt für Schritt über den Weg des ÖSG und den jeweiligen Länderformulierungen im RSG (regionaler Strukturplan Gesundheit) durch Zentren (also räumlich fokussierte Institutionen) ersetzt werden.

Dafür gehen sukzessive Planstellen im niedergelassenen Bereich verloren. Das kuriose an der Planung ist, dass solche Zentren bevorzugt an Standorten und in Regionen entstehen sollen, an denen Kassenplanstellen derzeit nicht besetzbar sind.

Als Übergangslösungen können sich Ordinationen vernetzen, sowie das über die Verbünde in styriamed.net, pannoniamed.net oder ähnlichen Verbünden erfolgreich stattfindet.

Den aktuellen Höhepunkt zur Strukturdiskussion stellt aber der Entwurf zum Gesundheitsreformumsetzungsgesetz 2017 dar. Ursprünglich als Primärversorgungsgesetz konzipiert, bekommt die Gesundheitsreform jetzt eine neue Jahreszahl und soll mit diesem Gesetz, das vorerst in Begutachtung gegangen ist, umgesetzt werden.

In der Begutachtung hagelte es Kritik von allen Seiten; auch im Weis[s]en Salon am 12.5.2017 (Keynote-Video Prof. Kathryn Hoffmann/MedUni Wien) wurde das Thema diskutiert. Der Grundtenor der Diskussion: Primärversorgung braucht kein Gesetz.

Genau dieses Gesetz soll nun über einen Initiativantrag am 19. Juni 2017 im Nationalrat beschlossen werden. Damit sind sämtliche Stellungnahmen zur Begutachtung de facto hinfällig.

Was steht nun wirklich in diesem GRUG 2017?

  • Zu Beginn werden die neu zu schaffenden Primärversorgungseinheiten definiert. Dort wird dann auch das Primärteam definiert, das nur mehr aus Arzt und Pflege bestellt. Ergänzend dürfen auch weitere Gesundheitsdiensteanbieter beschäftigt werden. Weiters wird die Standortfrage beschrieben, in der zuletzt auch die Möglichkeit von vernetzten Ordinationen eingefügt wurde.
  • Ab dem Paragrafen 8 geht es im Wesentlichen um die Finanzierung dieser Primärversorgungseinheiten. Vom ursprünglichen Plan, diese direkt in einen Vertrag mit den Sozialversicherungen zu stecken und vom Gesamtvertrag abzukoppeln, wird nach intensiven Verhandlungen der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) mit dem Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (BMGF) und Hauptverband (HV) abgegangen.
  • Beginnend mit dem Paragrafen 14 wird die Verortung der neuen Primärversorgungseinheiten geregelt. Primäres Planungsinstrument ist der RSG, wobei letztendlich bei der Standortfestlegung ein Einvernehmen zwischen der lokalen Gebietskrankenkasse und der Ärztekammer herzustellen ist.
  • Zwischen den Zeilen lässt sich hier aber jedoch ein Aufsaugen der bestehenden Kassenstellen in Richtung Primärversorgungseinheiten herauslesen. Das bestätigt sich dann auch in den geplanten Änderungen des ASVG im Paragrafen 342, dem ein neuer Abs. 3 eingefügt wird, der genau diese Stellenreduktion in der Niederlassung in Richtung Primärversorgungseinheiten vorsieht.

Unter dem Strich ergibt sich mit dem GRUG 2017 in Zusammenschau mit dem ÖSG 2017 und den RSGs eine neuerliche Regulierungswut, die momentan den Gesundheitsbereich besonders trifft.

Aus diesem Grunde ist das Gesundheitsreformumsetzungsgesetz 2017 entbehrlich. Auch weil es bereits funktionierende Zusammenarbeitsformen behindert. Und Primärversorgung in Zentren bestenfalls in Bezirkshauptstädten funktionieren wird.

Unverständlich ist, warum mit Gewalt versucht wird, dieses Gesetz per Initiativantrag durchzuboxen, obwohl Kritik mittlerweile von allen Seiten kommt.

Eiko Meister, Die Weis[s]e Wirtschaft

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