Zur Differenzierung ins Ausland transferierter Familienleistungen: Rechtliche Argumente

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Seit einigen Jahren diskutiert eine Reihe von EU-Mitgliedstaaten eine differenzierte Auszahlung der Familienbeihilfe für im EU-Herkunftsland verbleibenden Kindern der im Inland beschäftigten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Die Anpassung der Familienbeihilfe sollte an die zumeist niedrigeren Lebenshaltungskosten der Empfängerländer erfolgen („Indexierung“). Damit soll eine Überalimentierung der weiterhin im Herkunftsland lebenden Kinder vermieden und budgetäre Einsparungen im Inland realisiert werden.

Solche Diskussionen wurden im Vereinigten Königreich bereits vor der Brexit-Abstimmung wegen der hohen nach Polen fließenden Familienleistungen geführt. In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 18. bis 19. Februar 2016 wurde eine solche künftige Differenzierung in Aussicht gestellt. Aber auch in Deutschland (Familienbeihilfen, welche überwiegend nach Polen gezahlt werden), Österreich (Familienleistungen, welche insbesondere nach Ungarn, Slowakei, Slowenien, Polen und Rumänien fließen; siehe Daten für 2016) und anderen (reichen) EU-Staaten wie Frankreich, die Niederlande und Dänemark ist dies ein wiederkehrender politischer Diskussionspunkt. Die EU-Kommission hat jedoch „nach sorgfältiger Überlegung beschlossen, eine solche Änderung nicht einzuführen“.

In Deutschland hat die Politik die (eindeutige) Rechtslage zur Kenntnis genommen. Auch eine umfangreichere Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes (Unterabteilung Europa) des deutschen Bundestags lässt keinen Zweifel am Ergebnis („mit Unionsrecht unvereinbar“) aufkommen.

In Österreich hingegen ist angesichts des Regierungsvorhabens einer Anpassung der Familienleistungen die Diskussion wieder aufgeflammt. Die Bundesregierung beruft sich dabei auf ein juristisches Gutachten von Prof. Wolfgang Mazal (erstattet Anfang 2017; Kritik dazu von Prof. Franz Marhold und anderen Professoren).

Das Mazal-Gutachten versucht zu zeigen, dass eine Differenzierung der Familienleistungen nicht nur nicht im Widerspruch zu Art 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Koordinierungsverordnung) stehen würde, sondern geradezu geboten sei:

  • Da Familienleistungen keine Geldleistung im Rahmen der sozialen Sicherheit seien, sondern ausschließlich den Zweck der (teilweisen) Refundierung von Unterhaltskosten hätten, also Beihilfe zu diesen Ausgaben wären, ergibt sich als
  • Hauptargument, dass es ohne Differenzierung zu sachwidrigen Be- und Entlastungen Unterhaltspflichtiger komme, was zu Verzerrungen wegen Über- oder Unterförderung führe.

Die Argumentation, Familienbeihilfe (sowie der funktionsgleiche, mit der Familienbeihilfe auch gemeinsam ausbezahlte Kinderabsetzbetrag) seien eine reine Transferleistung, negiert jedoch die funktionale Differenzierung im Familienlastenausgleich (duale Funktion von Familienleistungen): Die geminderter steuerliche Leistungsfähigkeit von Steuerpflichtigen mit gegenüber Steuerpflichtigen ohne Unterhaltslasten (gleichen Einkommens) ist bzw. wäre im Steuerrecht über die Bemessungsgrundlage (d.h. als Freibetrag) zu berücksichtigen (horizontaler Familienlastenausgleich). Dagegen erfüllt die sozialrechtliche Transferleistung die Aufgabe einer unterhaltsbedarfsabdeckender Familienförderung (vertikaler Familienlastenausgleich auch unterschiedlicher Einkommensgruppen). Der Verfassungsgerichtshof lässt es in seiner Judikatur (VfSlg 14992/1991, VfSlg 12940/1997) offen, ob die verfassungsmäßig gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums eines Kindes alternativ auch durch die Transfer-Instrumente Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag (bei entsprechender Höhe!) als erfüllt sieht.

So wird verständlich, warum das Mazal-Gutachten die Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (Freizügigkeitsverordnung) nicht weiter beachtet. Die Freizügigkeitsverordnung liefert jedoch einen wichtigen Anknüpfungspunkt für das Diskriminierungsverbot sämtlicher sozialer Vergünstigungen innerhalb der Gemeinschaft der national Beschäftigten aufgrund der Staatsangehörigkeit. Gerade auch der Aspekt des horizontalen Familienlastenausgleichs, der bei (zu) niedrigen steuerlichen Einkommen über Transfers (Familienbeihilfe, Kinderabsetzbetrag) hergestellt werden muss, lässt keinen Spielraum für ungleiche Behandlung innerhalb der (Solidar-)Gemeinschaft der national Beschäftigten. Leistungen des geplanten „Familienbonus plus“ daran zu knüpfen, dass „das Kind in Österreich lebt“ ist, wäre ebenso betrachtet europarechtswidrig.

Die (EU-)rechtliche Betrachtung muss nicht zwingend zum selben Ergebnis führen wie eine rein ökonomische, die sich auch an Anreizeffekten orientiert, wie der Folge-Beitrag „Zur Differenzierung ins Ausland transferierter Familienleistungen: Ökonomische Argumente“ zeigt.

Peter Brandner, Die Weis[s]e Wirtschaft

Robert HolzmannIZA-Research Fellow, University of New South Wales (Sydney), Österreichische Akademie der Wissenschaften (Wien)

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