Andreas Kresbach über ein anspruchsvolleres, zeitgemäßes, aber unverkrampftes Heimatbewusstsein (Wiener Zeitung)

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Die Kulturnation Österreich sollte sich endlich ein anspruchsvolleres, zeitgemäßes, aber unverkrampftes Heimatbewusstsein leisten.

In Zeiten der Globalisierung, der Zerstreuung und der Beliebigkeit kommt es schon vor, dass man auf der Suche nach seiner Identität ist. Das gilt für Individuen genauso wie für Volksgruppen, Völker und ganze Staaten. Schließlich braucht ein Gemeinwesen über das Rechtssystem, Wirtschaftsdaten oder Äußerlichkeiten wie die Hymne hinaus doch eine Art Verfassungskultur, eine Staatsidee, einen die Gesellschaft integrierenden Sinnzusammenhang. Für eine solche Identitätsbildung eignet sich die österreichische Verfassung deshalb nicht so gut, weil sie, abgesehen vom Grundrechtskatalog, vor allem ein die grundlegenden Einrichtungen eines demokratischen Rechtsstaates und die Zuständigkeiten im Bundesstaat regelndes Formalwerk ist und kaum inhaltlich-politische Bekenntnisse enthält.

Neutralität als goldene Brücke

Ein weithin anerkanntes Selbstbild Österreichs war lange Zeit die außenpolitisch-militärische Neutralität, die zehn Jahre nach dem Krieg als Bedingung für die Wiedererlangung der staatlichen Souveränität ausgehandelt wurde. Dieser Status, der dem österreichischen Wesen, das mitunter Probleme hat, sich entschieden auf eine Seite zu stellen, vielleicht auch durch das Adjektiv „immerwährend“, durchaus sehr entsprach, erwies sich auch im Kalten Krieg als goldene Brücke: Unser kleines Land wurde zu einem international anerkannten Treffpunkt zwischen West und Ost. Mit dem Wandel der weltpolitischen Lage und dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union ist diese Aura des Neutralen weitgehend passé.

Mit dem Beitritt zur EU, der Abgabe vieler nationalstaatlicher Kompetenzen, vor allem aber mit der nicht nur in der Wirtschaft, sondern zunehmend in vielen Lebensbereichen spürbaren Internationalisierung des Landes und der Multikulturalität der Gesellschaft sowie nicht zuletzt mit der Migrationswelle nach Europa ist zumindest im Empfinden vieler Menschen die Identität Österreichs nicht mehr so sichtbar. Verstärkt wird dieses Gefühl, und das dürfte wohl entscheidender sein, mit dem Verlust vieler gewohnter Sicherheiten auf der persönlichen Ebene, durch einen sich verselbständigten Individualismus, Bindungsängste, die Auflösung von Familien oder auch die Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse. Denn Identität hat immer mit Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft und Zusammenhalt zu tun. Und was privat nicht stimmt, wird mitunter dem Staat und der Politik angelastet.

Eine Gesellschaft, die durch Nichtweitergabe vieler sozialer, kultureller und religiöser Werte in den kleinen und großen Fragen sichtbar orientierungslos, geistig heimatlos und in ihrer eigenen Kultur vermeintlich bedroht ist, wird natürlich besonders anfällig für Verhetzung und Populismus, wie sich ja weltweit zeigt. Da eignet sich als Ventil zur Selbstvergewisserung ein unduldsam-aggressiver Nationalismus, wobei – siehe die „identitäre Bewegung“ – Identität als paranoider Kampfbegriff alles Fremde ausgrenzen möchte. Soll man das als Patriotismus, als Heimatbewusstsein verstehen? Mitnichten.

Verdrängtes Heimatbekenntnis

Es rächt sich jetzt, dass das Bekenntnis zu einer Heimat oder einer heimischen Kultur lange Zeit, in Reaktion auf die politischen Missbräuche des Heimatbegriffs vor allem durch das Nazi-Regime, über weite Strecken tunlichst vermieden und verdrängt wurde. Wer die Heimat betonte, geriet schnell in Verdacht des Ewiggestrigen – oft wegen der Art, wie dies geschah. In den Augen des Meinungsmainstreams, meist noch im Bann der jüngeren Geschichte und ihrer unseligen Heimatverzerrung, war und ist das Heimatbewusstsein jener, die sich aus aufrichtiger Tradition oder aus politischem Kalkül darum bemühen, eine Art altmodischer Nostalgie, die nicht in die moderne Zeit passt. Und weil das Bürgertum sich auch im Heimatthema zu sehr zurückhält, ist es kein Wunder, dass mit heimischer Kultur fast nur noch die kommerzielle Volksmusik, die Bierzelt- und Skihüttengaudi oder der historisierende Touristenkitsch assoziiert wird. Die Kulturnation Österreich sollte sich aber endlich ein anspruchsvolleres, zeitgemäßes, aber unverkrampftes Heimatbewusstsein leisten, das auch andere Kulturen und Überzeugungen aushält und anerkennt.

Oder etwa auch durch gezielte Gründungsanreize für Klein- und Mittelbetriebe die intakte Landschaft nicht nur als Urlaubsregion, sondern auch als Lebensraum zu erhalten. Wirtschaftlich erfolgreiche Lebensqualität als Erfolgsmodell des „austrian way of life“. Wäre das nicht identitätsbildend im Europa der Konzerne? Und weil Identität durch Gemeinschaft entsteht, wäre alles in diese Richtung zu fördern: Familie, Nachbarschaft, Zivilgesellschaft. Wie Österreich etwa die Flüchtlingskrise 2015/16 mit der Aufnahme und Versorgung so vieler Menschen insgesamt doch humanitär vorbildhaft bewältigt hat, könnte auch so ein Erfolgsmodell für Europa sein. Das vielfältige Engagement der Bürger für den sozialen Zusammenhalt im Staat zu aktivieren, sollte doch die Identität Österreichs ausmachen.

(Wiener Zeitung, 7.11.2017)

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