Zum Verständnis der Budgetdaten für das Jahr 2024 (Ende März 2025 veröffentlicht) ist sowohl der Vergleich mit dem Vorjahr als auch der Vergleich mit dem Voranschlag (im Oktober 2023 erstellt) notwendig.
Statistik Austria veröffentlichte am 31. März 2025 (im Rahmen der „Notifikation“) die vorläufigen Daten zum Sektor Staat. Der Fokus der folgenden Diskussion lag auf dem hohen Budgetsaldo (-22,5 Mrd. € bzw. -4,7% des Bruttoinlandsprodukts (BIP)), den Folgen für das Budget 2025 und dem de facto unvermeidlichen Verfahren wegen eines übermäßigen Defizits (üD-Verfahren). Nicht diskutiert wurde der Schuldenstand (394,1 Mrd. € bzw. 81,8% des BIP), obwohl letzterer nicht unbeträchtliche Konsequenzen für den präventiven Arm des Stabilitätspakts (Berechnung des Netto-Primärausgabenpfades) hat.
Das medial-öffentliche Narrativ
Relativ analysefrei, folglich auch nicht hinterfragt, bildete sich in der Öffentlichkeit folgendes Narrativ:
- Nach einer viel zu optimistischen Budgetplanung habe der Finanzminister die Öffentlichkeit zu lange über das Ausmaß des (zu erwartenden hohen) Defizits getäuscht;
- Länder und Gemeinden seien wesentlich für das schlechte gesamtstaatliche Ergebnis verantwortlich;
- und überhaupt – die Wirtschaftsforscher hätten falsche Prognosen geliefert, die Politik wäre ihnen quasi ausgeliefert gewesen.
Der letzte Punkt ist schnell abgehandelt: Die heimischen Wirtschaftsforscher haben nicht „falsche“ Prognosen geliefert, sondern immer ihre Prognosen bei Vorliegen neuer Informationen (aktuelle bzw. aktualisierte Daten, internationale Entwicklungen etc.) revidiert. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Prognosen bzw. deren Revisionen von Prognoseinstitutionen stärker korrelieren als mit den finalen Echtdaten (siehe z.B. diese FISK-Studie Evaluation of economic forecasts for Austria – An update for the years 2005 to 2023). Hätte das BMF eigene Wachstumsprognosen gemacht, wäre die Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung im Wesentlichen nicht anders erfolgt.
Die beiden ersten Punkte sind differenzierter zu betrachten, wie im Folgenden gezeigt wird.
Gesamtwirtschaftlicher Budgeterfolg im Vergleich zum Voranschlag
Basierend auf einem realen BIP-Wachstum von +1,2% war vom BMF im Oktober 2023 ein gesamtstaatlicher Maastricht-Saldo von -13,7 Mrd. € (-2,7% des BIP) im Budget 2024 ausgewiesen worden. Auf derselben WIFO-Prognose aufbauend wie das BMF und bereits dessen Budget-Voranschlag berücksichtigend hat der Fiskalrat im Dezember 2023 (FISK-Herbstprognose) einen gesamtstaatlichen Maastricht-Saldo von nur -11,4 Mrd. € (-2,2% des BIP) prognostiziert.
Tatsächlich ist die österreichische Wirtschaft aber real um 1,2% geschrumpft: Rein konjunkturell verursacht wäre ein Budgetsaldo von rd. -4,1% zu erwarten gewesen (-2,7 minus Semi-Budgetelastizität von aktuell 0,57 mal Wachstumsrevision von 2,4).
Bleibt eine negative „Überraschungskomponente“ von rd. 0,6% des BIP bzw. rd. 2,9 Mrd. €. Diese kann aber unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der Budgeterstellung noch nicht beschlossenen Maßnahmen vollständig erklärt werden:
- Verlängerung des Stromkostenzuschusses für Haushalte (~0,5 Mrd. €),
- Aussetzung von Erneuerbaren-Förderpauschale und –Förderbeitrag (~0,9 Mrd. €),
- Verlängerung der Energieabgabensenkung (~1,0 Mrd. €),
- Erhöhung des regionalen Klimabonus (~0,4 Mrd. €),
- Wohnbaupaket (0,1 Mrd. €) und
- damals noch nicht abschätzbare September-Hochwasserkosten (~0,4 Mrd. €).
Nach konjunktureller Korrektur und Berücksichtigung der erst 2024 beschlossenen Maßnahmen zeigt sich, dass – aggregiert betrachtet – der vorläufige Budgeterfolg 2024 (Maastricht-Saldo) dem Voranschlag 2024 entsprach. Bei der FISK-Prognose hingegen verbleibt beim Maastricht-Saldo ein Prognosefehler von rd. 2,2 Mrd. € (0,5% des BIP).
Im Detail – Bund, Länder und Gemeinden im Voranschlag
Im Narrativ des Budgetdramas 2024 spielten die hohen Defizitquoten von Ländern, Gemeinden und des SV-Sektors eine zentrale Rolle (Differenz zum Voranschlag 1,4%-Punkte), nicht aber die trotz Rezession relativ niedrige Defizitquote des Bundes (Differenz zum Voranschlag „nur“ 0,5%-Punkte), wie der Budget-Vergleich zum Voranschlag zeigt.
Als Argument für die vermeintlich vermeidbare BMF-Fehleinschätzung bei Ländern und Gemeinden wurde deren sogenannte Mittelfristmeldungen im Rahmen des Österreichischen Stabilitätspakts genannt. Allerdings – zum Zeitpunkt der Meldung (August 2023) steckten Bund, Länder und Gemeinden noch mitten in den Finanzausgleichsverhandlungen, sodass der hohe Bedarf von 5,8 Mrd. € eher als strategisches Signal gewertet werden kann.
Mittelfristmeldung und Realisation können weit auseinanderklaffen: Im Bericht zum vorläufigen Gebarungserfolg 2024 wird hingewiesen, dass im Jahr 2022 Mittelfristmeldungen der Länder und Gemeinden noch im Sommer 2022 für das Jahr 2022 ein Defizit von 5,6 Mrd. € vermuten ließen. Tatsächlich erzielten diese Sektoren gemeinsam jedoch einen Überschuss von 2,8 Mrd. €.
Die Erfahrung 2022 (Differenz Meldung – Realisation ~8,3 Mrd. €) zeigt, dass die Mittelfristmeldungen nicht zwingend als verlässliche Prognosegrundlage heranzuziehen sind. Der – insbesondere im Lichte des prognostizierten Konjunkturaufschwungs – geringe Überschuss der Länder, Gemeinden und SV-Sektor in Höhe von 0,3% des BIP war daher nicht unplausibel.
Es ist nicht auszuschließen, dass der geringe Länder-Gemeinden-SV-Überschuss quasi als Kompensation für das in der Planung hohe Defizit des Bundes passend „gedacht“ war: Im Ergebnishaushalt des Bundes war sogar ein Defizit von 22,7 Mrd. € veranschlagt (4,5% des BIP), das im Vollzug um 8,3 Mrd. € unterschritten (!) wurde.
Ob das im Voranschlag zu hohe Defizit des Bundes als Ergebnis eines den Wünschen der Ressorts gegenüber zu nachgiebigen Verhaltens des BMF (die Erhöhung des Rücklagenstandes gegenüber dem Vorjahr um 2,2 Mrd. € (+8,1%) wäre ein Indiz) oder einem Vorsichtsprinzip geschuldet ist, oder als Ergebnis zu ungenauer Einnahmen/Ausgabenschätzen gesehen werden muss, kann nicht (einfach) festgestellt werden. Zu beachten ist weiters, dass zur Ermittlung des Maastricht-Saldos des Bundes zum Ergebnishaushalt des Bundes auch die Budgetsalden außerbudgetärer Einheiten (z.B. ÖBB-Infrastruktur und ÖBB-Personenverkehr, …) berücksichtigt werden.
Defiziteinschätzung im Jahresverlauf
Im März 2024 erwartete das WIFO bei einem realen BIP-Wachstum von 0,2% einen gesamtstaatlichen Budgetsaldo von -2,9% des BIP. Bereits Mitte April 2024 prognostizierte das Büro des Fiskalrats für das laufende Jahr ein gesamtstaatliches Budgetdefizit von 3,4% statt ursprünglich 2,2% des BIP und löste erstmals eine Diskussion über ein drohendes üD-Verfahren aus.
Das BMF hingegen veröffentlichte Ende April „im Sinne einer transparenten Budgetplanung“ ein Dokument zur Wirtschaftlichen Entwicklung und öffentliche Finanzen 2023-2027. Darin wurde der Budgetsaldo des Bundes von -3,0% auf -3,1% des BIP, jener der Länder, Gemeinden und SV-Sektor von +0,3% auf +0,2% des BIP revidiert, sodass sich der gesamtstaatliche Budgetsaldo von ursprünglich -2,7% auf -2,9% des BIP nur geringfügig verschlechterte (und exakt der WIFO-Prognose entsprach; IHS rechnete noch mit einem Defizit von 2,2% des BIP).
Zu diesem Zeitpunkt hätte das BMF auf Basis des eigenen Voranschlags bereits alleine unter Berücksichtigung der seither erfolgten Wachstumsrevisionen einen gesamtstaatlichen Budgetsaldo von -3,3% des BIP erwarten müssen. Ergänzt mit einer Einrechnung der neu beschlossenen Maßnahmen – im Bericht mit 1,9 Mrd. € quantifiziert – wäre bereits Ende April 2024 bei makroökonomischer Interpretation der zu diesem Zeitpunkt öffentlich verfügbar gewesenen Informationen ein gesamtstaatlicher Budgetsaldo von -3,6% des BIP „rational“ gewesen. Diesen Überlegungen folgend wäre bereits ab Sommer 2024 aufgrund der restlichen nunmehr beschlossenen (Energiekrisen-)Maßnahmen (0,3% des BIP) sowie den weiteren negativen Wachstumsrevisionen ein gesamtstaatliches Budgetdefizit von mindestens 4% des BIP anzunehmen gewesen.
Das Argument, das BMF hätte bereits im April 2024 bzw. im weiteren Jahresverlauf die – im Nachhinein betrachtet – zu optimistische Prognose für Länder, Gemeinden und SV-Sektor erkennen müssen, ist nicht überzeugend. Unterjährig erfolgt die Entwicklung nicht kontinuierlich, sondern ohne einfach erkenn- bzw. erklärbarem Muster:
- So hat der SV-Sektor – wie im BVA erwartet – im ersten Halbjahr 2024 einen positiven Beitrag ausgewiesen, erst das dritte Quartal (dessen Daten im Dezember bekannt werden) zeigte mit -0,7 Mrd. Euro eine massive Verschlechterung, ehe das vierte Quartal mit -0,1 Mrd. Euro nur gering zum Jahresergebnis von -0,8 Mrd. Euro beitrug.
- Im September – der Zeitpunkt, zu dem die Daten des ersten Halbjahres 2024 bekannt sind – war der Saldo der Länder mit -45 Mio. € praktisch ausgeglichen. Erst das dritte Quartal mit -0,5 Mrd. € (bekannt geworden im Dezember) und das vierte Quartal mit -1,5 Mrd. € bestimmten den Maastricht-Saldo der Länder in Höhe von -2,0 Mrd. €.
Aussagen wie „Der Überschuss ist uns immer unplausibel vorgekommen“ (Fiskalratspräsident Badelt) sind nicht nachvollziehbar, zumal in den FISK-Prognosen auch nur der gesamtstaatliche Budgetsaldo ausgewiesen wird: Im April 2024 wurde die Verschlechterung der Budgetprognose (ausschließlich) mit Konjunktur und den damals bekannten zusätzlichen diskretionären Maßnahmen (1,7 Mrd. €) begründet. In der FISK-Frühjahrsprognose (Juni 2024) wurde die unterschiedliche Einschätzung zwischen BMF und FISK ebenfalls anders erklärt („Die Hauptursachen für die unterschiedlichen Einschätzungen liegen in den vom BMF prognostizierten höheren Sozialbeiträgen und indirekten Steuern sowie in den deutlich geringeren Ausgaben für monetäre Sozialleistungen“). Selbst in der FISK-Herbstprognose (Dezember 2024) werden Länder, Gemeinden und SV-Sektor und ihre Bedeutung in der Budgetprognose nicht entsprechend diskutiert.
Gesamtwirtschaftlicher Budgeterfolg im Vergleich zum Vorjahr
Der Budget-Vergleich zum Vorjahr zeigt, dass das Defizit von Sozialversicherungen (SV-Sektor) und Gemeinden (inkl. Wien) im Jahresvergleich unverändert geblieben ist – trotz des stärkeren Wachstumseinbruchs. Die Länder (ohne Wien) wiesen ein um 0,3%-Punkte höheres Defizit aus, mit 2,1%-Punkten fiel der Großteil der Budgetverschlechterung beim Bund an.
Bei ökonomischer Betrachtung sind Länder und Gemeinden nicht für die gesamtstaatliche Defizitausweitung verantwortlich. Im Gegenteil, die dominierende Finanzierung über konjunkturanfällige Ertragsanteile des Bundes bei überwiegend konjunkturunabhängigen Aufgaben zwingt diese Sektoren tendenziell zu einer prozyklischen (also den Wirtschaftsabschwung verstärkenden) Politik, wenn sie an ihren geplanten Budgetsalden festhalten wollen und Ausgaben kürzen.
Obwohl die Entwicklung des gesamtstaatlichen Budgetsaldos unter Berücksichtigung der tatsächlichen konjunkturellen Entwicklung und der erst später beschlossenen Maßnahmen sehr gut in der Budgeterstellung abgebildet ist, folgten als Budget-Problemlösungen reflexartig die üblichen Schlagworte „Strukturreform“, „Föderalismusreform“, „Pensionsreform“. Ohne evidenzbasierte Analysen, aber medial immer passend, egal ob die Wirtschaft wächst oder schrumpft, egal ob ein rekordverdächtiges Budgetdefizit oder ein Budgetüberschuss (wie 2018 und 2019) vorliegt. So notwendig die genannten Reformen sind, so unpassend als Kommentar zur aktuellen Budgetsituation.
Der Vorwurf einer viel zu optimistischen, gar sorglosen Budgetplanung ist nicht aufrecht zu erhalten. Derartige mediale Diskussionen wie „Budgetmisere: Kann man Magnus Brunner persönlich belangen?“ somit entbehrlich, weil ohne sachlicher Grundlage.
Peter Brandner, Die Weis[s]e Wirtschaft
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