Die Relevanzwahl

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Schon lange, bevor die fünf Kandidaten und die eine Kanditatin für die Bundespräsidentschaft die die 6.000-Unterschriften-Hürde gemeistert hatten, kündigte der ORF an, sich bei der Berichterstattung an deren „Relevanz“ zu orientieren. Von zwei Instituten, die in keiner Verbindung zu politischen Parteien oder anderen Medien stehen. Also objektiv und streng wissenschaftlich. Das klingt gut.

Was ist Relevanz?

Nur: Was ist Relevanz? Sind die relevant, die die größten Chancen haben? Und welche Chancen? Beim ersten Wahlgang ein respektables Ergebnis zu erreichen? Was ist dann respektabel? Oder geht es (auch) darum, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, in der Stichwahl zu gewinnen, falls die Kandidatin bzw. der Kandidat sie erreicht?

Gilt nicht auch der Umkehrschluss, dass TV-Präsenz diese  Chancen erhöht? Und dass fehlende sie reduziert? Der diesbezügliche Vorwurf der gescheiterten Bewerberin El (Elfriede) Awadalla, die schon vor dem Unterstützungsstichtag fürchten musste, durch das Relevanz-Sieb zu fallen, ist nicht völlig von der Hand zu weisen.

Es könnte aber auch um den Unterhaltungswert gehen. Für ein Medium ist Medienrelevanz ja nicht ganz unwichtig. Der Opernball-erprobte Richard Lugner könnte ja durchaus unterhaltsam und damit medienrelevant sein, unterhaltsamer vielleicht als Rudolf Hundstorfer und Andreas  Khol im Zwiegespräch. Oder Norbert Hofer und Alexander van der Bellen.

Was sagt die Informationswissenschaft zur Relevanz?

Was Relevanz ist, lässt sich also nicht so einfach sagen. Die Informationswissenschaft ist sich einigermaßen uneinig, wie sie zu definieren ist. Und naturgemäß noch mehr, wie man sie misst.

Veröffentlichte Meinungsumfragen zeichnen bis Ende März ein ziemlich diffuses Bild, auch wenn es Auftraggeber und Auftragnehmer anders sehen mögen. Aber wenn etwa die Werte für Alexander van der Bellen bei den jüngeren Umfragen im Jahr 2016 zwischen möglichen 17 und 38 Prozent schwanken, ist es kühn, von verlässlichen Aussagen zu sprechen

Das US-Fernsehen hat es geschafft, alle – ursprünglich 16 – republikanischen Bewerberinnen und Bewerber um das US-Präsidentschaftsamt in mehreren Debattenrunden diskutieren zu lassen. Stimmt, es gab Unstimmigkeiten, weil es Runden der aussichtsreicheren und eine der weniger aussichtsreichen Kandidatinnen und Kandidaten (basierend auf den Meinungsumfragen) gab.

Relevanz-Messung und ORF-Gesetz

Auf das dünne Eis der Relevanz-Messung hat sich das US-Fernsehen aber nicht begeben. Obwohl für private TV-Sender in den USA nur die allgemeinen journalistischen Kodizes gelten und kein ORF-Gesetz, das den öffentlich-rechtlichen Sender zur „Sicherung der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, der Berücksichtigung der Meinungsvielfalt und der Ausgewogenheit der Programme“ verpflichtet.

Statt fünf nun sechs Personen gleich zu behandeln, dürfte eine journalistisch lösbare Aufgabe sein. Es nicht zu tun, beschädigt weniger den betroffenen Richard Lugner als den ORF. Lugner kann sich ja mit seiner eigenen Doku-Soap auf ATV trösten.

Martin Novak war viele Jahre Journalist, darunter auch Gerichtsberichterstatter. Seit mehr als 20 Jahren ist er Kommunikations- und PR-Berater in Graz.

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