Familien- und Generationenpolitik – ein Zwölf Punkte-Programm

/
Österreich ist im europäischen Vergleich ein sehr familienfreundliches Land – es gibt sozialen Frieden, die staatlichen Familienleistungen sind auf einem hohen Niveau, die Arbeitsmarktlage ist auch für berufstätige Mütter einigermaßen gut, bei den Kinderbetreuungsplätzen wurde in den letzten Jahren stark aufgeholt und es gibt eine Reihe von vielfältigen Beratungs- und Bildungsangeboten.

Dennoch wäre für die Eltern und Kinder dieses Landes im Sinne einer zukunftsorientierten Familienpolitik einiges zu verbessern. Denn Lebenschancen für Familien sind auch Lebenschancen für Kinder und Jugendliche, das heißt: für unsere ganze Gesellschaft.

Deshalb ist eine zukunftsorientierte Politik für unsere Familien auch kein Nebenthema, sondern betrifft als Querschnittsmaterie viele Bereiche der Gesellschaft: vom guten Aufwachsen der Kinder und der Jugend über die Bildung und Ausbildung, dem Wohnen, der Freizeit, dem Berufsleben bis zur Pflege der älteren Generation. Weil das Leben in einer Familie grundsätzlich auch die Erfüllung des Generationenvertrages ist.

Eine Politik, die das Leben der Familien fördern soll, muss die drei zentralen Themenfelder gestalten: die finanzielle Absicherung von Familien, die Schaffung von mehr Zeit für Familie und eine familienfreundliche Infrastruktur.

Finanzielle Absicherung

Die finanzielle Entlastung der Familien und die Unterstützung mit Sachleistungen und Infrastruktur erfolgt durch den für Familiengelder zweckgebundenen Familienlastenausgleichsfonds (FLAF).  Um die Geldleistungen für die Familien auch von Zeit zu Zeit wertanpassen zu können und auch neue Formen von Ausgaben, vor allem im Bereich der Infrastruktur, finanzieren zu können, ist jedenfalls eine nachhaltig ausgeglichene Einnahmen-Ausgaben-Gebarung des FLAF notwendig, wofür wiederum die kostspieligen und teilweise anderen Budgets zuzuordnenden „familienfremden Leistungen“ (vor allem PV-Beiträge für Kindererziehungszeiten, Wochengeld) aus dem Fonds ausgegliedert werden sollten. Da diese Strukturbereinigung bisher noch kein Familienminister bzw. -ministerin geschafft hat, sollte diese Aufgabe anstelle eines politisch untergewichtigen eigenen Ressorts ein im Finanzministerium angesiedeltes Staatssekretariat wahrnehmen.

Außer durch Geld- und Sachleistungen werden Familien auch steuerlich entlastet. Dabei sollte im Sinne der Steuergerechtigkeit und im horizontalen Vergleich mit Kinderlosen zumindest der durchschnittliche Unterhaltsbedarf für alle Familienmitglieder insgesamt (unter Berücksichtigung der Transferleistungen) steuerfrei bleiben. Dieses Ziel könnte im geltenden Individualsteuersystem und auch ohne negative Arbeitsanreize für (die zweitverdienenden) Mütter durch ein „Familienrealsplitting“ (d.h. realitätsgerechte Unterhaltsleistungen, die die Bemessungsgrundlage des Unterhaltsverpflichteten senken, werden beim Unterhaltsberechtigten als Einkommen versteuert) verwirklicht werden (hier bereits 2011 für Österreich gefordert bzw. für Deutschland ausführlich 2006 untersucht).

Das Kinderbetreuungsgeld (KBG), das seit März 2017 als Konto ausbezahlt wird, bringt mit dem neuen Familienzeitbonus für Väter und dem Partnerschaftsbonus bei circa gleicher KBG-Bezugsdauer zwar zusätzliche positive Anreize zur gleicheren Aufteilung der eigenen Kinderbetreuung, die von der Mehrheit der Bezieher und Bezieherinnen gewählte bisherige Langvariante (30 Monate) ist jedoch in Bezugsdauer und im Gesamtbetrag etwas reduziert worden und sollte im Sinn der Wahlfreiheit für elterliche Eigenbetreuung wieder diesen verbreiteten Wünschen von Eltern entsprechend ausgeweitet werden.

Pension: Zeiten der Kindererziehung und –betreuung bzw. des Entfalls des Einkommens des betreuenden Elternteils sollten sich nicht unangemessen nachteilig auf die spätere Pension (meist der Mütter) auswirken. Die Anrechnung der Kindererziehungszeiten sollte deshalb aufgewertet werden und sich an den „besten“ Lohn- und Einkommensjahren (derzeit: Medianeinkommen für Frauen) orientieren. Für Elternteile, vor allem Mütter, die wegen des Aufziehens mehrerer Kinder oder anderer Umstände nicht mehr erwerbstätig sein können, sollten stärkere Anreize für einen zwischen den Eltern zu vereinbarenden Versorgungsausgleich geschaffen werden.

Schaffung von mehr Zeit für Familie

Elternteilzeit: Denn in sehr vielen Fällen ist gar nicht das Geld, sondern vielmehr die verfügbare Zeit für Kinder das höchste Gut für Eltern. Viele Eltern wünschen sich denn auch während der Kleinkindphase eine verkürzte Arbeitszeit, weshalb die Elternteilzeit ein Erfolgsmodell zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sein könnte – wenn aber auch die Einkommensverluste etwa durch zusätzliche steuerliche Entlastung abgefedert und Nachteile bei der Pensionshöhe durch ein attraktiveres Aufteilen der Pensionsbeiträge (Pensionssplitting) kompensiert würden.

Kinderbetreuung: In der Kinderbetreuung sind weitere Angebotslücken, vor allem am Land, zu schließen. Bei Einführung des verpflichtenden zweiten Kindergartenjahres sind allfällige Finanzierungslücken bei Ländern und Gemeinden durch sozial gestaffelte Elternbeiträge zu schließen. Gleichzeitig wäre die steuerliche Absetzbarkeit aufgrund der steigenden Inanspruchnahme von Nachmittagsbetreuung in ganztägigen Schulformen bis zum Ende der Pflichtschulzeit auszudehnen; dies sollte künftig auch für Bildungsausgaben für Kinder dieses Alters gelten.

Familienfreundliche Infrastruktur

Elternbildung: Stärkung der Elternbildung vom Kleinkindalter durch Angebote in Kindergärten, Eltern-Kind-Zentren, Nachbarschaftszentren bis zum Ende der Pflichtschulzeit durch Angebote in Kindergärten und Schulen (Erziehungs- und Freizeitberatung, Aufklärung statt Frühsexualisierung von Kindern in der Schule, Information über neue Medien).

Familie/Bildung/Migration/Integration: Verstärkte Beteiligung und Mitsprache der Eltern in der Schule durch eine aktive Bildungspartnerschaft zwischen Schule – Eltern – Schülern, damit der Lebens- und Lernort Schule (vor allem im Volksschulalter und in der ganztägigen Schulform) besser mit dem Leben in der Familie abgestimmt wird. Dies kann insbesondere auch eine Förderung von lernschwachen und sozial schwachen Kindern bzw. Kindern aus Migrantenfamilien bewirken, deren Notwendigkeit in internationalen Bildungsvergleichstests regelmäßig besonders auffällt. In diesem Kontext ist vor allem auf die Verwirklichung des Kinderrechts auf Bildung und dies insbesondere für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu achten.

Dabei gibt es viele Synergie-Effekte von Bildung und Familie: Eine spezielle Sprachförderung für Flüchtlings- und Migrantenkinder ist nicht nur ein bildungspolitisches Erfordernis, sondern begünstigt auch deren Integration in die Gesellschaft und mit dem Wohlergehen der Kinder auch jenes der ganzen Familie. Dies sollte auch von speziellen Sprachförderprogrammen und Qualifizierungsangeboten für Mütter in Flüchtlings- und Migrantenfamilien begleitet werden.

Die Familienzusammenführung bei Migranten sollte unter Rücksichtnahme auf Integration und Arbeitskräftebedarf erfolgen.

Familie und Wohnen: Vor allem junge Familien bekommen die stark gestiegenen Wohnkosten zu spüren. Dabei sind die eigenen vier Wände auch eine wichtige Voraussetzung für gelingendes Familienleben. Zur finanziellen Entlastung sollen Familien unabhängig ihres mietrechtlichen Status nach einer Bedarfsprüfung (Einkommen/Kinderzahl) speziell gefördert werden. Für die Förderung des Wohnens im Eigentum sollte die Wohnbauförderung der Länder nach den Kriterien Einkommen und Kinderzahl sozial treffsicherer gestaltet werden. Jedenfalls sollte die Förderwürdigkeit in bestimmten zeitlichen Abständen überprüft werden.

Familie und Beruf: Um das Arbeitsleben auch messbar familienfreundlicher zu gestalten und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nachhaltig zu verbessern, sollten entsprechende Maßnahmen in Unternehmen betreffend Personalpolitik, flexibler Arbeitszeit, Karenzzeiten, Kinderbetreuung, etc. über den reinen Image- und PR-Faktor hinaus entsprechend einem transparenten Kriterienkatalog auch quantifizierbare Anreize und Auswirkungen haben. Nur dann wären familienfreundliche Maßnahmen auch tatsächlich messbare Erfolgsfaktoren für Unternehmen und Familien.

Familie und Pflege (siehe auch hier): Zur leichteren Vereinbarkeit von Beruf und Pflege sollten die Möglichkeiten von Pflegekarenz und Pflegeteilzeit für berufstätige Angehörige bis zu 12 Monate erweitert werden. Außerdem ist ein System der mobilen Pflegedienste auszubauen. Pflegezeiten sollten in begrenztem Umfang auch in der Pensionsversicherung angerechnet werden. Grundsätzlich wäre der Aufbau einer allgemeinen Pflegepflichtversicherung mit Leistungen auch bei Eigenbetreuung der Angehörigen anzustreben.

Generationenpolitik: Familienpolitik ist auch Generationenpolitik: durch die Aktivierung sozialer Ressourcen durch verschiedene Anreize kann das gesellschaftliche Engagement aller Generationen zum gegenseitigen Nutzen (Beispiele: Kinderspiel- und Elterntreffs, Lernbegleitung, Parkbetreuung, Kulturprogramme, Umweltprojekte, Seniorencafés) forciert werden. Als ganzheitliches Projekt bietet sich in diesem Sinn die Förderung von Mehrgenerationenhäusern als Treffpunkte von älterer und jüngerer Generation und soziale Begegnungsorte in Stadtteilen an. Dass solche Einrichtungen als multifunktionale Zentren gleichzeitig mehrere soziale Zwecke erfüllen können, zeigt das deutsche Förderprogramm eindrucksvoll.

Blick nach Deutschland

In Deutschland, wo in diesem Jahr auch Bundeswahlen stattfinden, überbieten sich die Parteien übrigens mit familienpolitischen Reformideen. In Österreich ist davon weit und breit nichts zu hören, da werden allenfalls Einsparungen überlegt. Das ist eben der Unterschied zwischen jenen, die auch in anderen Politikfeldern etwas zustande bringen und denen, die auch in anderen Bereichen hinterherhinken.

Die Förderung und die Entlastung von Familien ist kein harmloses Schönwetterprogramm und sollte auch nicht für gemütvolle Sonntagsreden strapaziert werden, sondern als eine Investition in unsere Kinder und damit in unsere Gesellschaft angesehen werden. Dabei ist es nicht so, dass mit verstärkten finanziellen Mitteln auch mehr Kinder geboren werden, wie das manche suggerieren wollen. Es geht einfach darum, jene Menschen, die sich schon dazu entschieden haben, ihren Kinderwunsch zu verwirklichen, in ihrem Leben mit Kindern von Seiten der Gesellschaft glaubwürdig zu unterstützen.

Andreas Kresbach, Die Weis[s]e Wirtschaft

Nächste Veranstaltung

Ich möchte zur Veranstaltungsreihe der Weis[s]e Salon eingeladen werden