Krankt es nur bei VW?

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Der Abgasskandal bei Volkswagen wird Politik, Medien und Gerichte noch geraume Zeit beschäftigen. Unabhängig von VW-internen Problemen, dem monetären Ersatz für mutwillig geschädigte Umwelt und den kundenspezifischen Ansprüchen auf Nachbesserung hat die Softwaremanipulation auch wesentliche Problemkreise aufgedeckt, die deutlich über den VW-Konzern hinausgehen:

  1. Sie zeigt einerseits, wie Politik und Verwaltung von der Industrielobby getrieben sind und daher
  2. kaum Anstoß an der Perversion der eigenen Regeln finden, während
  3. andererseits im Zeitalter der Digitaltechnik auch mehr technische Offenheit nötig ist.
  4. Die bisherigen Entscheidungen im Gefolge des „Skandals“ lassen keine grundlegende Wendung erwarten.

ad 1.) Willfährige Politik und Verwaltung

Fahrern neuerer Autos muss die zunehmende Diskrepanz des für Umweltnormen und Steuerklassifizierungen relevanten Normverbrauchs zum real erzielbaren Verbrauch schon länger aufgefallen sein. Dennoch wollen Politik und Verwaltung erst durch den plötzlichen Skandal um mit Softwaretricks manipulierte Testergebnisse aufgerüttelt sein. Gerne möchte man ausblenden, dass die praxisfernen Standardmessungen regelmäßig zwischen Industrie und Politik ausgehandelt werden, um der Politik ein grünes Feigenblatt auszustellen und der Industrie gleichzeitig „Flexibilität“ über zahlreiche „Schlupflöcher“ zu bieten (Spezialöle, abgeklebte Fugen, abgeklemmte Nebenaggregate, Überdruck in den Reifen, aber auch Getriebeübersetzung, Schaltempfehlungsanzeige, „start-stop-Automatik“ und „downsizing“ gehören zu den „üblichen“ Tricks „im Rahmen“ der Regeln). Insoweit erscheint die Forschergruppe, die anders als die staatlichen Einrichtungen auf die Idee gekommen ist, die Abgaswerte in der Praxis nachzumessen, geradezu als Störenfried.

Als langfristige Folge des VW-Skandals ist daher zu hoffen, dass künftig realer Umweltschutz und reale Kundeninformation in den Vordergrund treten und die Politik ihre Verantwortung eher im Sinne der Allgemeinheit als im Sinne der Industrie wahrnimmt. Mit geringfügig beschleunigter Umsetzung weltweiter und etwas praxisnäher formulierter Testroutinen zur Verbrauchs- und Abgasmessung wird es dabei noch nicht getan sein.

ad 2.) Ehrliche Umweltpolitik und Verzicht sind geboten

Zum Umweltschutz gehört auch ein gesamtheitlicher Ansatz, der auch den Ressourcenverbrauch bei Produktion und Entsorgung berücksichtigt. Entsprechend ist vielfach die langfristige Nutzung eines Guts dem Streben nach konstantem Konsum und Wirtschaftswachstum vorzuziehen.

Vielleicht können die nach dem Abgasskandal kaum mehr zu leugnenden ökologischen Bedenken der Dieseltechnologie (Feinstaub, Stickoxide) hierzulande immerhin zu einer Angleichung der Steuerbelastung mit Benzin führen. Ebenso wird der Zweck der „Normverbrauchsabgabe“ als klassischer Luxussteuer mit zunehmendem Öko-Deckmantel zu hinterfragen sein, wenn gerade schwere und teure elektrounterstützte Fahrzeuge über unrealistisch günstige Papierwerte bevorzugt werden. Ein an der Ökologie ausgerichtetes Steuersystem sollte darüber hinaus den Schwerpunkt der Abgaben vom Kfz-Besitz (z.B. „motorbezogene Versicherungssteuer“) zum tatsächlichen Gebrauch lenken. Derzeit ist das in Österreich mit vergleichsweise niedriger Kraftstoffsteuer und umfangreichen Pendlerförderungen nicht der Fall. Schließlich erlaubt der Kraftstoffverbrauch mitunter bessere Rückschlüsse auf die tatsächliche Umweltverschmutzung als ein fragwürdiger „Normwert“.

 ad 3.) Eine vernetzte Welt bedarf technischer Transparenz

Darüber hinaus ist aber auch mehr Offenheit auf technischem Gebiet gefordert: Während die Technik früher rein mechanisch war und später beim Einsatz von Elektrik und Elektronik noch in ihrer Funktion nachvollziehbar war, so haben in der vernetzten und mikroprozessorgesteuerten Welt von heute weder Kunden noch Werkstätten einen Einblick in die Funktionen ihrer Gerätschaften, vom „Smartphone“ bis zum Auto. 

Mit zunehmender Prozessorleistung erhöht sich die Gefahr, dass die in der „black box“ versiegelte Software ein Eigenleben hat, das weder im Sinne des Kunden, noch überprüfbar ist. Insoweit ist auch Quellcode-offene „open source“-Software ein Gebot der Stunde, damit nicht nur über „reverse engineering“, sondern von einem in der Programmiersprache gelernten Techniker die Funktionsweise der Geräte nachvollzogen und auf allfällige Fehler oder unerwünschte Nebentätigkeiten hin überprüft werden kann. 

ad 4.) Ein administrativer Neustart steht noch aus

Leider ist nicht nur bezeichnend, wie lange das Phänomen des Abgasschwindels unentdeckt geblieben ist (und dass er freilich nicht nur gewisse VW-Dieselmotoren und neben Abgasen auch Verbrauchswerte betrifft). Auch seither wird dem die Manipulationen durchführenden VW-Konzern großzügig Zeit gegeben, Fakten zu liefern, anstatt sie selbst zu erkunden. Ebenso bezeichnend ist der neue europäische Kompromiss der etablierten Akteure, künftig zwar die Abgase auf der Straße anstatt im Labor zu messen („real driving emissions“, RDE): In zwei Jahren (!) wird jedoch eine „Toleranz“ auf gut das Doppelte der angeblichen Emissionen akzeptiert und auch nach 2020 werden noch Abweichungen um 50% gegenüber dem verkündeten Wert in Ordnung sein. Gegenüber der aktuellen Diskrepanz um den Faktor vier ist das zwar ein kleiner Schritt, einen Neuanfang zu mehr Ehrlichkeit kann man aber ebenso wenig erkennen.

 

Philipp Lust, Jurist
www.lust.wien/recht

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