Peter Brandner zu Italiens Schulden und der EZB als vermeintlich größte Gläubigerin (Wiener Zeitung)

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Italien und seine vermeintlich größten Gläubiger – eine AnmerkungFehlinterpretationen der Daten sollten einer nüchternen Analyse nicht im Wege stehen.

Ob Italiens Staatsschulden von rund 2,26 Billionen Euro oder 132 Prozent des BIP (makro-)ökonomisch ein Problem darstellen, lässt sich nicht am EU-rechtlichen 60-Prozent-Maastricht-Kriterium festmachen – auch für andere Staaten nicht. Die Antwort auf die Frage nach der Nachhaltigkeit der Staatsschulden geben intertemporal-dynamische Konzepte, und sie fällt für Italien bisher entspannter aus, als der erste Blick vermuten lässt. Entspannung ist trotzdem nicht angesagt – die Missachtung fiskalpolitischer Regeln kann schneller als gedacht zu einer Schuldenexplosion führen.

Zwei Informationen zu italienischen Staatsschulden und den vermeintlich damit verbundenen Problemen finden sich auch in der Qualitätspresse: Die EZB habe im Zuge des Anleihekaufprogramms 345 Milliarden Euro an italienischer Staatsschuld in ihren Büchern, sei so zur größten Gläubigerin Italiens geworden und habe sich so erpressbar gemacht. Und die aus dem Zahlungsverkehrssystem des Euro-Systems resultierend Verpflichtung von 440 Milliarden Euro („negativer Target2-Saldo“), von Euro-Kritikern gerne als Dispokredit der soliden „Nordländer“ an Italien bezeichnet, müsste im Falle eines Euro-Austritts Italiens von den verbleibenden Euro-Ländern getragen werden. Italien habe bereits seine Schulden in großem Umfang vergemeinschaftet, die Schulden- und Haftungsunion sei somit Realität.

Tatsächlich beträgt der Bestand an italienischen Staatsanleihen aus dem aktuellen Anleihen-Kaufprogramm (PSPP) im Zuge der „monetären Lockerung“ rund 345 Milliarden Euro, wovon aber nur 10 Prozent der Risikoteilung im Euro-System unterliegen, 90 Prozent hält die italienische Notenbank auf eigenes Risiko. Mit dem laufend abschmelzenden Altbestand aus dem SMP-Programm der Krisenjahre (letzte Käufe im Februar 2012) beträgt somit das Volumen italienischer Staatsanleihen im Besitz des Euro-Systems, das einer Risikoteilung unterliegt, weniger als 70 Milliarden Euro.

Beim Target2-Saldo handelt es sich nicht um einen Kredit an Italien, sondern um mit Sicherheiten unterlegtes Zentralbankgeld. Wird dieses klassisch geschöpft, dann als Kredit des Euro-Systems an Geschäftsbanken, auch an italienischen Banken, aber nie an Staaten (alternativ durch Anleihekäufe, siehe PSPP). Wo im Euro-Zahlungsverkehrsgebiet (die gemeinsame Geldpolitik wird von den nationalen Notenbanken umgesetzt) dann im Zusammenspiel mit den Geldmärkten Forderungen und Verpflichtungen zwischen nationalen Notenbanken entstehen, ist unerheblich. Target2-Salden sind bloß (interne) Verrechnungskonten des Euro-Systems und stellen somit keinen Kredit zwischen nationalen Notenbanken dar, der fällig wird, wenn ein Land die Währungsunion verlässt. Und sie haben mit Leistungsbilanzungleichgewichten und deren Finanzierung nichts zu tun.

Im Falle eines Euro-Austritts hängt ein möglicherweise gemeinsam zu tragender Verlust davon ab, ob und wie Banken des Austrittslandes ihre Verpflichtungen gegenüber dem Euro-System erfüllen können. Also davon, wie umfangreich bei Bankenpleiten dann im Rahmen des europäischen Bankenabwicklungsregimes die (privaten) Bankgläubiger herangezogen werden.

(Wiener Zeitung, 7.6.2018)

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