Telekom-Streitschlichtung als Vorbild?

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Ab 2016 soll das Alternative-Streitbeilegung-Gesetz generelle Verbraucherschlichtungsverfahren ermöglichen. Die langjährigen Erfahrungen in der Telekommunikation mahnen dabei auch zu inhaltlichen Verbesserungen.

Klassische privat- und öffentlich-rechtliche Verfahren vor dem Gericht sind durch Parteienrechte geprägt. Dazu gehört z.B. das Recht auf „Gehör“ ebenso wie die Möglichkeit zur Erhebung von Rechtsmitteln, um allenfalls fehlerhafte Entscheidungen überprüfen zu können. Beides kostet Zeit und zunehmend Geld – sowohl bei Gerichtsgebühren als auch bei Anwaltskosten. Entsprechend macht ein Zivilprozess bei „bloß“ vierstelligen Euro-Beträgen regelmäßig keinen Sinn.

Neues Gesetz zur freiwilligen Schlichtung

Die aus „regulierten Sektoren“ wie Telekommunikation, Energie, Transport und Banken bekannte „freiwillige Streitschlichtung“ soll künftig bei sämtlichen Verbrauchergeschäften gewisse Abhilfe schaffen: Gemäß dem vom Nationalrat am 8. 7. 2015 einstimmig beschlossenen Alternative-Streitbeilegung-Gesetz (AStG) sollen im Einklang mit der EU-Richtlinie 2013/11/EU ab 2016 entgeltliche Geschäfte zwischen Unternehmern und Verbrauchern einer unverbindlichen Streitbeilegung zugänglich sein. Wäre es nicht adäquat, das eingangs aufgezeigte Problem faktischer Rechtsverweigerung von Grund auf anzugehen? 

Zentrale Voraussetzung für das Schlichtungsverfahren eines Verbrauchers ist, dass ein direkter Lösungsversuch mit dem Vertragspartner gescheitert ist (§ 6 AStG). Damit können im Einzelfall aufwändige Gerichtsprozesse vermieden werden, wobei die politische Akzeptanz der Verkäuferseite durch die Unverbindlichkeit des Schlichtungsverfahrens erkauft wurde (§ 12 Abs. 2 AStG). Auch im Schlichtungsverfahren wird primär eine Einigung der beiden Betroffenen untereinander angestrebt, ehe die Schlichtungsstelle aktiv einen Lösungsvorschlag ausarbeitet (§ 16 AStG). Scheitert die beiderseitige Annahme eines Lösungsvorschlages, kann bzw. muss der Fall – wie bisher – gerichtlich geklärt werden.

Über die Tatsache, dass das klassische Gerichtsverfahren weiterhin möglich ist, lässt sich auch der Wegfall mancher Verfahrensrechte erklären: Effizienz und Geschwindigkeit gehen vor, wobei Objektivität und Fairness nicht auf der Strecke bleiben dürfen. Wenn aber für letzteres jenseits der europarechtlichen Vorgabe kein unmittelbares Überprüfungsrecht des Einzelnen vorgesehen ist, hängt das reale Erreichen einer gerechten Streitschlichtung nicht nur von den streitenden Parteien selbst, sondern auch maßgeblich vom Ethos und vom Selbstverständnis der streitschlichtenden Stelle ab.

Dieses ist aufgrund des persönlichen Engagements der Mitarbeiter bei der zentralen Verbraucherschlichtung des VKI zu erhoffen, die für die allgemeinen Fälle zuständig ist. Daneben bestehen die schon bisher für spezifische Bereiche eingerichteten Schlichtungs- bzw. Ombudsstellen für Telekommunikation, Internet, Energie, Post, Passagierrechte, Kreditwirtschaft und Fertighaus fort. Umgekehrt zeigen die langjährigen Erfahrungen in der seit 1998 tätigen Schlichtungsstelle der Rundfunk- und Telekom-Regulierungs-GmbH (RTR), dass zumindest in diesem Sektor weiterhin Verbesserungsbedarf hinsichtlich Verbraucherschlichtung besteht (siehe auch Helgar Schneider im Rechtspanorama der „Presse“ vom 14. 4. 2014, 15).

Gemischte Erfahrungen in der Vergangenheit

Während die RTR zwar jährlich umfangreiche positive Tätigkeitsberichte präsentiert, zeichnen einige der nicht weiter veröffentlichten Einzelfälle ein anderes Bild. Bisher wurden nur 16 Entscheidungen aufgrund ihrer Wesentlichkeit von der Behörde veröffentlicht und auch hiervon wurde der Vorschlag nur in der Hälfte der Fälle akzeptiert.

Vorweg legt die Behörde in ihren „Verfahrensrichtlinien“ Mindestbeträge fest (20 bzw. 150 Euro), sodass sie bei Streitwerten in der Höhe typischer Monatsrechnungen erst gar nicht zu entscheiden braucht. Darüber hinaus wird in langjähriger Betrachtung in gut einem Viertel von jährlich rund 4.000 Fällen jegliche inhaltliche Entscheidung bereits aus Formalgründen abgelehnt (z.B. RSTR 3228/14, RSTR 0836/15, RSTR 1445/15). Gelegentlich wollen die Probleme der Kunden auch nicht verstanden werden (z.B. RSTR 3228/14). Wenn sich ein Schlichtungsverfahren partout nicht vermeiden lässt, erhofft man sich primär ein akzeptables Angebot des Anbieters (grob 50 % der Fälle), ehe die Schlichtungsstelle im Bruchteil der verbleibenden Fälle ihren eigenen Lösungsvorschlag unterbreitet.

Auch hierbei wird oft von einer ordentlichen Sachverhaltsermittlung abgesehen, indem die Behörde bloß pauschalierte „halbe-halbe“-Lösungsvorschläge unterbreitet, wobei die Halbierung typischerweise zu Lasten des Kunden erfolgt (z.B. RSTR 2594/14, RSTR 3602/14). Auch sonst wird vielfach von einer genauen Problemanalyse abgesehen, obwohl eine sachliche und objektive Entscheidung ohne genaue Betrachtung des Einzelfalles nicht möglich ist. Teils wird auch bloß das Vorbringen des Anbieters auf grobe Plausibilität geprüft, anstatt das Vorbringen des Kunden zu würdigen (z.B. RSTR 2814/14).

Will der Kunde sein Vorbringen ergänzen, wird ihm oft mitgeteilt, die Behörde hätte bereits ihre „abschließende“ Ansicht dargelegt und könne diese nicht mehr anpassen. Man könne sich jedoch an ein – allerdings unverhältnismäßig teures – Gericht wenden, das eine ordentliche Ermittlung und Beurteilung vornehmen würde. Zumindest der Eindruck von Objektivität und Fairness leidet unter derartigen Vorgehensweisen.

Der aufgrund des neuen Alternative-Streitbeilegung-Gesetzes kürzlich erstellte Entwurf der RTR für „neue“ Verfahrensrichtlinien lässt die obigen Probleme mit Ausnahme der Tatsache, dass der Kunde künftig immerhin zum Vorbringen des Anbieters Stellung nehmen kann, bislang unberührt.

Ethos und faire Verfahrensregeln nötig

Leider wurde auch im neuen – allgemeinen – AStG von einer Möglichkeit der Überprüfung bei Fehlern der Schlichtungsstelle abgesehen. Durch Veröffentlichung der Entscheidungen wäre immerhin eine indirekte Überprüfung samt Signalwirkung für ähnliche Fälle möglich gewesen. Stattdessen sollen die Verfahren geheim sein und nur allenfalls in Eigenberichten der Schlichtungsstellen erwähnt werden.

Damit ist der Verbraucher – neben dem Mitwirkungswillen des Streitpartners – dem persönlichen Engagement der jeweiligen Schlichtungsstelle ausgeliefert. Um der gebotenen Effektivität (§ 6 Abs. 2 AStG) nahe zu kommen, ist in künftigen Verfahrensregeln wenigstens darauf zu achten, dass die Verbraucherrechte gestärkt werden, anstatt inhaltliche Einschränkungen oder formale Ablehnungsmöglichkeiten durch die jeweilige Schlichtungsstelle zu ermöglichen.

 

Philipp Lust, Jurist
www.lust.wien/recht

PS: Weiterführende Publikation zum Thema siehe hier, insb. Zivilrecht aktuell 17/2015, S. 328–332 (Artikel-Nr. 588).

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