Über die Sinnhaftigkeit der Staatskommissäre

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Diese Frage stellen sich wohl viele nach dem ersten Tag des HAA Untersuchungsausschusses. Liegt das an einem falschen bzw. nicht adäquaten Amtsverständnis der Staatskommissäre oder an mangelnder bzw. nicht hinreichender gesetzlicher Festlegung der Pflichten und Rechte von Staatskommissären und eröffnet damit einen zu breiten Interpretationsspielraum?

Wie in den meisten Fällen liegt die Antwort auf diese Frage in der Mitte.

Zuerst zu den Fakten: Die Funktion der Staatskommissäre ist in § 76 des Bankwesengesetzes (BWG) geregelt. Dort heißt es (auszugsweise und zusammengefasst):

  1. Der Finanzminister bestimmt einen Staatskommissär für eine Funktionsperiode von längstens fünf Jahre. Dieser handelt als Organ der FMA und hat aufgrund seiner Ausbildung oder beruflichen Werdegangs die erforderlichen Sachkenntnisse jederzeit zu besitzen.
  2. Der Staatskommissär ist vom Kreditinstitut zu den Hauptversammlungen, Aufsichtsratssitzungen, der Prüfungsausschüsse sowie den entscheidungsbefugten Ausschüssen des Aufsichtsrats (dazu zählt jedenfalls der Kreditausschuss, Anm. d. Verf.) einzuladen. Ihm ist auf seinen Antrag jederzeit das Wort zu erteilen. Unterlagen für diese Sitzungen sind spätestens zwei Bankarbeitstage vor der Sitzung und alle Niederschriften über die Sitzungen sind dem Staatskommissär zu übersenden.
  3. Der Staatskommissär hat gegen Beschlüsse der oben genannten Organe unverzüglich Einspruch zu erheben, wenn er dadurch gesetzliche oder sonstige Vorschriften oder Bescheide des BMF oder der FMA für verletzt erachtet, und hievon der FMA zu berichten. Über den Einspruch hat die FMA binnen einer Woche zu entscheiden.
  4. Dem Staatskommissär steht das Recht zu, in die Schriftstücke und Datenträger des Kreditinstituts Einsicht zu nehmen, soweit es zur Erfüllung seiner Aufgaben notwendig ist.
  5. Er hat ihm bekannt gewordene Tatsachen, aufgrund derer die Erfüllung der Verpflichtungen des Kreditinstituts gegenüber den Gläubigern und insbesondere die Sicherheit der ihm anvertrauten Vermögenswerte nicht mehr gewährleistet ist, unverzüglich der FMA mitzuteilen.

ad 1) Hier stellt sich schon die Frage, wie die ausreichende Qualifikation sichergestellt bzw. objektiv festgestellt werden kann, wenn der Finanzminister allein das Bestimmungsrecht hat.

ad 2) Beide Zeugen im Untersuchungsausschuss haben über viel Aufwand und Wochenendarbeit berichtet. Die Frist von zwei Arbeitstagen ist jedenfalls für die in der Regel sehr umfangreichen Unterlagen zu kurz, damit sich der Staatskommissär ein umfassendes Bild machen kann. Es wäre jedenfalls Wert, in den Sitzungsprotokollen nachzulesen, wie oft die Staatskommissäre sich tatsächlich zu Wort gemeldet haben.

ad 3) Die Wortgruppen „unverzüglich Einspruch … für verletzt erachtet“ birgt schon in sich genug Sprengstoff. Einerseits wird hier vom Staatskommissär ein Beurteilungsvermögen in aller Kürze der Zeit verlangt, für die andere (interne Revision, Wirtschaftsprüfer, usw.) viel mehr Zeit benötigen, als dies in einer (auch mehrstündigen) Sitzung möglich ist. Andererseits muss der Einspruch unverzüglich (also tunlichst noch innerhalb der Sitzung) und entsprechend begründet erfolgen. Üblicherweise tragen die zuständigen Vorstandsmitglieder oder zusätzlich eingeladene Experten in der Sitzung die entsprechenden Referate vor; es erfolgt eine kurze Beratung und anschließend die zumeist einstimmige Beschlussfassung. Vorbereitung und Detailkenntnisse sind naturgemäß bei den Organen der Bank und den Experten wesentlich stärker ausgeprägt als es ein Staatskommissär auch bei genauem Aktenstudium je haben kann. Weiters sieht sich der Staatskommissär einer möglichen Organhaftung ausgesetzt, sollte der Einspruch zu Unrecht erfolgt und dem Kreditinstitut dadurch ein Schaden entstanden sein.

ad 4) Dieses Recht macht wohl nur Sinn, wenn es in der verfügbaren Zeit zwischen dem Erhalt der Sitzungsunterlagen und der Sitzung selbst ausgeübt werden kann. Aber innerhalb von zwei Tagen?

ad 5) Auch dieses Thema war Gegenstand der Befragung im Untersuchungsausschuss. Sind Wahrnehmungen nur innerhalb von Sitzungen möglich oder muss sich der Staatskommissär auch zwischen den Sitzungen ständig (über die Medien?) über das Kreditinstitut informieren. Besonders kritisch ist in diesem Zusammenhang auch die Wortgruppe „nicht mehr gewährleistet ist“. Nach den Regeln der deutschen Grammatik ist das ja nur dann der Fall, wenn der Schaden(sfall) bereits eingetreten ist. Oder obliegt dem Staatskommissär die Verantwortung abschätzen zu müssen, ab wann etwas nicht mehr „gewährleistet“ ist (heute, morgen, nächste Woche, in drei Monaten?).

Eines ist jedenfalls klar: Das Gesetz gibt keine konkrete Auskunft darüber, ob der Staatskommissär ein (weiterer) Kontrollor oder nur „Auge und Ohr“ der FMA in der Bank sein soll. Als Kontrollor hat er definitiv zu wenig Befugnisse, zu wenig Zeit und möglicherweise auch eine zu geringe Qualifikation. Auf der anderen Seite ist der Aufwand wohl viel zu groß dafür, nur Auge und Ohr der FMA zu sein.

Daher fragt sich, welche Funktion soll nun ein Staatskommissär in der heutigen Zeit tatsächlich noch ausfüllen?

Für die signifikanten Kreditinstitute hat sich seit der Einführung des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus („Single Supervisory Mechanism“) und der Übernahme der Aufsicht durch die EZB sowieso einiges grundlegend geändert. Es gibt quartalsweise Meetings mit dem Topmanagement der Bank, die seitens der Aufsichtsbehörden (EZB und lokale Aufsichtsbehörden bilden das Gemeinsame Aufsichtsteam; „Joint Supervisory Team“) gründlich vorbereitet sind (umfangreicher Fragebogen) und eine ebenso gründliche Vorbereitung durch das Kreditinstitut erfordern. Für Spezialthemen nehmen auch Experten beider Seiten teil. Die vorzulegenden Unterlagen sind wesentlich umfangreicher, umfassender und auch detaillierter als sie üblicherweise in Aufsichtsratssitzungen vorliegen. Es wird „beaufsichtigt“, aber „nicht kontrolliert“, also nicht in die tägliche, normale Geschäftsführung eingegriffen, sondern vielmehr versucht, ein gesamtheitliches Bild über die Finanz-, Risiko- und Ertragslage der Bank zu erhalten, systemische Risiken zu hinterfragen, Strategien zu durchleuchten, sowie die Funktionsfähigkeit des internen Kontrollsystems zu überprüfen.

Diese Art der Aufsicht ist jedenfalls viel wirksamer, als es ein Staatskommissär heutigen Zuschnitts je sein kann. Es ist daher die Funktion des Staatskommissärs auf eine neue rechtliche Basis zu stellen, mit einer genauen Definition der Aufgaben und der daraus abgeleiteten notwendigen Kompetenzen. Oder er ist dem Grunde nach verzichtbar.

 

Harald Vertneg, Die Weis[s]e Wirtschaft

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