Andreas Kresbach über die Reformen, die die neue Regierung angehen muss (Kleine Zeitung)

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Vorspiel zur echten Reform-Agenda

Jene, die am Sonntag Sebastian Kurz gewählt haben, mögen nicht in allen inhaltlichen Fragen mit ihm ganz übereinstimmen, doch im Zeitalter der Personalisierung und Emotionalisierung der Politik ist dies zweitrangig. Bei aller Dominanz des Flüchtlings- und Migrationsthemas war wohl ausschlaggebend, dass bürgerliche Wähler nach langer Zeit wieder einen Spitzenkandidaten wählen konnten, der ihre prinzipielle politische Ausrichtung und die vielerorts gewünschte Neuaufstellung des Landes ansprechend präsentierte. Wäre es nur um das Migrationsthema gegangen, hätte die FPÖ wohl weiter vorne und die SPÖ weiter hinten landen müssen.

Man kann auch nicht sagen, dass die Neue Volkspartei den Zugang der FPÖ zum Flüchtlingsthema einfach übernommen hat. Allerdings behandelt Kurz diese causa prima sachlich doch viel differenzierter als die alles vereinfachende „Heimatpartei“ und auch in einem ganz anderen Ton und zwar so, dass dies auch in Europa offenbar ernst genommen wird. Diese Verantwortung sollte sich jetzt auch in den bevorstehenden Regierungsverhandlungen zeigen. Dabei wird es nicht genügen, die beliebten FPÖ-Wut-Themen Migration und Mindestsicherung mit Schaum vor dem Mund abzuarbeiten. Auch der hierzulande so populäre Kleine-Leute-Schmäh, der in Form von Sozialgeschenken betriebene rot-blau-grüne Stimmenkauf wie erst jüngst bei der letzten Nationalratssitzung gehört längst in die Mottenkiste der Innenpolitik. Für eine echte Reform-Agenda wird jedenfalls wesentlich mehr notwendig sein: die versprochene Steuersenkung, attraktive Standort- und Industriepolitik, Investitionen in Hightech-Produkte und Green Jobs, eine Schuldenbremse für zukunftsfähige Generationenpolitik und nicht zuletzt eine Kraftanstrengung für eine Staatsreform sowie ein stärkeres Engagement für Europa.

Aus all diesen Gründen könnte eine allfällige VP/FP-Koalition nur die Vorstufe zu einer tatsächlichen bürgerlichen Reformperspektive sein, die eines Tages wohl eher in einer schwarz-grün-pinken Regierung, einer sogenannten Dirndl-Koalition, bestehen könnte. Davon sind wir derzeit freilich weit entfernt.

(Kleine Zeitung, 18.10.2017)

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