Die Analyse repräsentativer Mikrodaten für Österreich zeigt, dass diese Sicht eher ideologisch motiviert als empirisch fundiert ist. Weder ist die durchschnittliche Mietbelastung stark gestiegen, noch werden die behaupteten großen Einkommensunterschiede zwischen Mietern und den übrigen Hauhalten bestätigt. Auch trifft die Behauptung, dass sich die Mieteinnahmen auf die obersten Einkommen konzentrieren, nur sehr bedingt zu: Bei den Haushalten mit Mieteinnahmen ist deren Anteil am Haushaltseinkommen im obersten Einkommensdezil mit knapp 20 Prozent zwar etwas höher als beim Medianeinkommen, aber geringer als im untersten Einkommensdezil.
Die empirischen Ergebnisse basieren auf den Mikrodaten des von Statistik Austria für Österreich erhobenen European Survey on Income and Living Conditions(EU-SILC) für den Zeitraum 2012 – 2021. Die Analyse erfolgt auf der Haushaltsebene unter Berücksichtigung der in EU-SILC verfügbaren Hochrechnungsfaktoren, die hochgerechneten Statistiken sind daher repräsentativ für Österreich.
Die wichtigsten Ergebnisse der Studie sind:
- Die monatlichen nominalen Bruttomieten sind im Zeitraum 2012–2021 im Durchschnitt über alle Haushalte um knapp 30 Prozent gestiegen. Die mit dem Verbraucherpreisindex berechneten durchschnittlichen realen Bruttomieten sind in dem Zeitraum um gut 10 Prozent gestiegen.
- Der durchschnittliche Anteil der Bruttomieten am Nettohaushaltseinkommen („Mietbelastung“) ist nach einem vorübergehenden Anstieg wieder auf das Ausgangsniveau gesunken, während der mittlere Wert (Median) der Mietbelastung um gut 5 Prozent gestiegen ist. Von diesem Anstieg waren überwiegend Haushalte mit höheren Einkommen betroffen, deren Mietbelastung unterhalb des Medianwerts liegt.
- Die durchschnittliche Mietbelastung hat im Beobachtungszeitraum 25 Prozent betragen. Sie nimmt mit steigendem Einkommen stark ab, von über 40 Prozent im untersten auf etwas über 10 Prozent im obersten Einkommensdezil, der mittlere Wert (Median) beträgt gut 20 Prozent.
- Die Mietbelastung in den größeren Städten ist bis zu den obersten Einkommensdezilen etwas höher, in Wien etwas geringer als im Bundesdurchschnitt. Diese Unterschiede lassen sich zum Teil auf die große Bedeutung des „Gemeindebaus“ zurückführen, auf den in Wien knapp ein Drittel des Mietmarktes entfällt und von dem auch die mittleren und höheren Einkommensgruppen profitieren.
- Insgesamt sind von hoher Mietbelastung vor allem Bezieher der Grundsicherung (Notstandshilfe, Ausgleichszulage und Sozialhilfe) betroffen. Am höchsten ist die mittlere Mietbelastung der Sozialhilfeempfänger, für die sie über 50 Prozent beträgt, während sie für Bezieher von Notstandshilfe nur knapp halb so hoch ist.
- Der Vergleich der Verteilung der Einkommen von Mietern und den übrigen Haushalten zeigt, dass Mieter im Durchschnitt zwar über ein deutlich geringeres Einkommen verfügen, das Medianeinkommen von Mieterhaushalten aber höher ist als die Einkommen eines relativ großen Teils der Haushalte, die keine Mieter sind.
- Zwar ist der Anteil der Vermieter bei den oberen sehr viel höher als bei den unteren Dezilen der Einkommensverteilung, er beträgt aber auch im obersten Dezil weniger als 20 Prozent. Der Anteil der Mieteinnahmen am Haushaltseinkommen ist am höchsten im untersten Einkommensdezil, beim Medianeinkommen ist dieser Anteil nicht viel kleiner als im obersten Dezil.
Im Lichte dieser empirischen Ergebnisse erscheint in Eingriff in den überwiegend privaten Wohnungsmarkt zur Beschränkung von Mietpreissteigerungen nicht nur aus ökonomischer, sondern auch aus verteilungspolitischer Sicht unangebracht.
Handlungsbedarf besteht vor allem bei der zügigen Anpassung der Sozialhilfe und der Ausgleichszulage an Mietpreissteigerungen sowie einer besseren Integration von Grundsicherung und Wohnbeihilfe.
Viktor Steiner
Univ.-Prof. em. Dr. Viktor Steiner ist Professor für Empirische Wirtschaftsforschung und Wirtschaftspolitik an der Freie Universität Berlin, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft.