Analyse der Wählerströme

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Wählerstromanalysen zur oberösterreichischen Landtagswahl haben teils recht unterschiedliche Ergebnisse gebracht, insbesondere was die großen Wählerwanderungen (ÖVP und SPÖ zur FPÖ, SPÖ zur ÖVP) betrifft. Unterschiedliche Schätzungen von Wählerströmen sind nicht neu. Daher  ein paar Bemerkungen zur Methode von Wählerstromanalysen: (vgl. dazu auch Erich Neuwirth)

  • Wählerstromanalyse aufgrund von Aggregatdaten /1:  basieren auf Wahlergebnissen, wobei die Veränderungen von der letzten zur rezenten Wahl mittels multipler Regression in Beziehungen gesetzt werden. Vorteil: Die Analyse beruht auf realen Daten, Nichtwähler werden einbezogen. Nachteil: Unterschiedliche Modellannahmen führen oft zu stark voneinander abweichenden Ergebnissen, gerade auch bei der „Restkategorie“ der „Nichtwähler“. Es wird eine Genauigkeit (850 Stimmen von Partei A zu Partei B) vorgetäuscht, die lediglich modellinduziert ist.
  • Wählerstromanalysen aufgrund von Aggregatdaten /2:  ist quasi eine stark vereinfachte Variante von 1, in der (nach Gemeindetypen unterschieden) Gewinne und  Verluste der Parteien zueinander in Beziehung gesetzt werden. Also: je stärker die Verluste von Partei A, umso stärker die Gewinne von Partei B. Nachteil: Es handelt sich um eine indirekte Schlussfolgerung. Es könnte ja auch Partei A an Partei B und B an Partei C verloren haben. Keine genaueren Angaben über die Größen der einzelnen Wanderungsbewegungen.
  • Wählerstromanalysen aufgrund von Individualdaten: Speziell bei Wahltagsbefragungen wird nach dem Wahlverhalten der einzelnen Personen bei der aktuellen und bei der letzten entsprechenden Wahl gefragt; aus den Differenzen ergeben sich Wählerwanderungsströme. Vorteil: Analysen sind auch nach soziodemografischen und politischen Untergruppen möglich und können mit anderen erhobenen Daten verbunden werden, z.B. Abwanderer von Partei A zu Partei B haben aus Gründen x,y,z  so gewählt.  Nachteil: Viele Befragte können oder wollen sich nicht an ihr letztes Wahlverhalten erinnern. Oder sie verwechseln Wahlebenen (LTW, NRW, EPW). Nichtwähler werden nicht erfasst, es sei denn, man macht eigene Nichtwählerbefragungen. Wählerströme werden nur sehr grob erfasst; die Anzahl der Wechselwähler wird eher unterschätzt.

Eine Faustregel für Interessierte: Erst wenn Ergebnisse unterschiedlicher Methoden vorliegen, die einigermaßen übereinstimmen, können (seriöse) Aussagen über die Größenordnung von Wählerwanderungen getroffen werden.

Außerdem: Lassen Sie den „gesunden Menschenverstand“ nicht außer Acht. Sehr unplausible Wählerwanderungen (z.B. Massenstrom von der KPÖ zur ÖVP) können zwar nicht ausgeschlossen werden, sind aber zumeist nur methodische Artefakte.

 

Peter A. Ulram, Univ.-Doz. für Politikwissenschaften und Geschäftsführer
ecoquest Market Research & Consulting GmbH

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