Andreas Kresbach zur Integration von Flüchtlingen (Die Furche)

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Die Integration von Flüchtlingen nach dem Motto „Fördern und Fordern“ kann auch für die Aufnahmegesellschaft eine Erfolgsgeschichte werden. Bei der Vermittlung von Sprache und Werten sind jedenfalls beide Seiten, der Staat und die Migranten selbst, gefordert.

Unabhängig von den diesjährigen Flüchtlingszahlen und der festgelegten Obergrenze an Asylanträgen ist unbestritten, dass die bereits im Land befindlichen Flüchtlinge und Migranten mit guter Bleibeperspektive so rasch als möglich integriert werden müssen. Eine gelungene Integration kann nicht nur die Sozialbudgets entlasten, sondern auch die erhofften Effekte am Arbeitsmarkt bewirken und damit auch zum sozialen Frieden sowie zur Aufnahmebereitschaft in Österreich beitragen.

Das Integrationspaket der Bundesregierung sieht zu diesem Zweck vor, Sprach- und Wertekurse bereits für Asylwerber anzubieten und diese auch zu gemeinnütziger Arbeit durch Gemeinden und Vereine zuzulassen. Auch andere im 50-Punkte-Plan des Expertenrates für Integration angeführte Maßnahmen sind teilweise schon in Umsetzung: die möglichst frühe Sprachförderung durch das verpflichtende zweite Kindergartenjahr, Sprachförderklassen in Schulen, Ausbildung für Jugendliche, Nachqualifizierung und Berufsorientierung, die rasche Erhebung der Qualifikationen von Asylwerbern und deren Anerkennung. Als oberstes Ziel gilt die Integration in den Arbeitsmarkt und die Selbsterhaltungsfähigkeit, die ein individueller Integrationsplan mit Pflichten der Flüchtlinge bei drohender Kürzung der Mindestsicherung sicherstellen soll. Nicht zuletzt sollen diese Anforderungen auch verhindern, dass Migranten von Sozialtransfers abhängig werden.

Klares Signal an Flüchtling

Dieser Zielrichtung entspricht auch das kürzlich in Deutschland präsentierte Integrationsgesetz, das unter dem Motto „Fördern und Fordern“ steht. Auch dort sollen das Angebot an Integrationskursen erweitert und Orientierungs- und Wertekurse auf 100 Unterrichtseinheiten aufgestockt (in Österreich sind dafür derzeit acht Stunden vorgesehen) sowie Flüchtlinge zur Teilnahme bei sonstiger Kürzung der Sozialleistungen verpflichtet werden. Außerdem wird der Staat gemeinnützige Beschäftigung für Migranten anbieten und für die Dauer einer Ausbildung ein Aufenthaltsrecht geben, das sich bei erfolgreicher Arbeitssuche um weitere zwei Jahre verlängert. Bei Beherrschung der deutschen Sprache und weitgehender Selbsterhaltungsfähigkeit wird es schon nach drei Jahren ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht geben, bei geringerem Sprachniveau nach fünf Jahren. Gleichzeitig ist eine befristete Wohnsitzzuweisung vorgesehen, die allerdings bei einer Ausbildung oder ab einem bestimmten Arbeitseinkommen nicht gilt. Das Signal an die Flüchtlinge ist klar: Wer die Chance ergreift und durch Sprachkenntnisse und Anpassung den Einstieg in den Arbeitsmarkt schafft, soll dauerhaft im Land bleiben können.

Eine erfolgreiche Integration von Migranten kann nicht verordnet, sondern muss im täglichen Zusammenleben gefördert werden: in den Gemeinden, in der Nachbarschaft, durch Pfarren und Vereine, in Kindergärten und Schulen. Dies führt zur Frage, welche Werte denn Zuwanderern vor allem vermittelt werden sollen. Hier geht es wohl in erster Linie um unser (europäisches) Verständnis von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten wie Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit, um Gleichberechtigung von Mann und Frau, Respekt und Förderung von Kindern und Jugendlichen, Höflichkeitsformen im täglichen Umgang oder auch gewisse Bekleidungsregeln.

Totale Assimilation ist nicht das Ziel

Es geht bei der Wertevermittlung jedenfalls nicht um ein rasches Aufzwingen der westlichen Werte, sondern um eine für Migranten und das Aufnahmeland gleichermaßen nützliche Auseinandersetzung mit der europäischen Kultur von Freiheit, Gleichheit und pluralistischem Lebensstil. Am Schluss des Integrationsprozesses soll jedenfalls nicht die totale Assimilation der Migranten stehen, sondern deren Akzeptanz unserer Grundwerte und geltenden Verhaltensnormen, wobei nichts dagegen spricht, seitens der Flüchtlinge aus einem anderen Kulturkreis die eigenen Werte und Sitten zu bewahren, sofern sie nicht gegen die rechtlichen und sittlichen Grundwerte der Aufnahmegesellschaft verstoßen. Ihre angestammte Kultur lebende und ihre Religion praktizierende Muslime müssen noch lange keine Parallelgesellschaft bilden, das würde etwa auch niemand von den diversen Chinatowns in Amerika oder London behaupten.

Wer Grundwerte vermitteln will, muss diese freilich auch kennen und glaubwürdig vorleben. Deshalb stellt sich beim Aufstellen eines Forderungskataloges auch die Frage nach dem Wertebewusstsein unserer Bevölkerungen in Europa. Sind wir uns der Menschenrechte und westlichen Werte, die wir jetzt so energisch einfordern und den Migranten vermitteln wollen, auch selbst bewusst? Man denke etwa an den in Sonntagsreden hochgehaltenen Wert der Familie, der viele hierzulande aber nicht davon abhält, über kinderreiche muslimische Familien und deren Familiensinn die Nase zu rümpfen. Und wie passen die propagierten Familienwerte mit den immer neuen Einschränkungen der Familienzusammenführung für Flüchtlinge zusammen? Achten wir die Rechte von Kindern auf körperliche Unversehrtheit, Erziehung und Bildung auch, wenn sie in Österreich lebende Flüchtlingskinder sind (die dies wohl am nötigsten hätten)? Die Kinderrechte-Konvention wird hierzulande ja sehr gerne hochgehalten.

Auch die Religion ist ein sensibler Bereich. In Europa bis zur Expansion des politischen Islams schon ziemlich in den Hintergrund gerückt und mangels religiösem Wissen öffentlich kaum mehr wahrgenommen, ist der Glaube plötzlich auch wieder ein politisches Thema, welches mit dem Missbrauch des Islams durch Gewalttäter freilich mitunter unter Generalverdacht geraten ist. Es sind allerdings nicht zufällig oft diejenigen, die lautstark die Gefahr einer drohenden Islamisierung propagieren und das „christliche Abendland“ zu retten vorgeben, die selbst weitgehend religionsvergessen leben. Kann jedoch eine Gesellschaft, die ihre eigenen religiösen Wurzeln kaum mehr kennt bzw. sich nicht mehr dazu bekennt, Gläubigen anderer Religionen die eigenen Werte, die, wie zum Beispiel die Menschenrechte, eben auch christlich motiviert sind, glaubhaft vermitteln? Das sollte zu kritischen Selbstanfragen in Europa führen, das Konzept des kämpferischen Laizismus à la Frankreich, der Religionen letztlich diskriminiert, ist jedenfalls augenscheinlich gescheitert.

Nationalpopulismus – die eigentliche Gefahr

Was macht aber die Identität von Europa im Zeitalter der Globalisierung und der Auseinandersetzung mit fremden Kulturen und Religionen aus? Was hält die freien Gesellschaften zusammen, das über den Konsum, das Wirtschaftswachstum, die Unterhaltungsindustrie und den Song Contest hinausgeht? Welches Europa meinen denn jene, die es gegen die Migranten mit Zäunen, Mauern und Angst um die eigene Identität verteidigen wollen? Es ist wohl das in den europäischen Verfassungen und der EU-Grundrechtecharta festgeschriebene Bekenntnis zu Demokratie und Menschenwürde, die, so unvollständig auch immer verwirklicht, bis heute immer noch die Maßstäbe für staatliches Handeln und soziales Zusammenleben bilden und Europa von Diktaturen und Unrechtsregimes etwa im Nahen Osten oder Afrika unterscheiden. Es ist die Synthese von christlichem Menschenbild und aufgeklärter Rechtskultur, die Europa der Weltgesellschaft als mittlerweile jahrzehntelange Erfolgs- und Friedensgeschichte anzubieten hat.

Das sind die Werte, die wir zu verteidigen und offensiv zu vermitteln haben, gegen einen sich ausbreitenden verhetzenden Nationalpopulismus, der mehr als jede Flüchtlingswelle das Friedensprojekt Europa tatsächlich in seinen Grundlagen gefährdet. Eine wehrhafte Demokratie, die weltweit als Vorbild gelten soll, darf einer solchen Erosion ihrer Fundamente jedenfalls nicht tatenlos zusehen. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Förderung der Integration von Migranten gefährdet weniger das staatliche Gefüge als sie vielmehr die demokratische Verfassungsordnung und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken kann.

Dieser Kommentar erschien in der Furche (30. Juni 2016)