Die Rechtslage in der Flüchtlingsfrage

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Am 20. Jänner 2016 einigten sich Bund, Länder, Städte und Gemeinden („Asylgipfel“) auf ein gemeinsames Positionspapier zur Bewältigung der Flüchtlingssituation. Eine der Kernbotschaften war die Begrenzung der Anzahl der Asylansuchen („Asyl-Obergrenze“). Da die Regierung offensichtlich nicht weiß, ob eine solche Deckelung rechtlich überhaupt zulässig ist, hat sie für die juristische Prüfung ein Expertengutachten in Auftrag gegeben, das bis Mitte/Ende März erstellt werden soll.

Die Rechtslage muss Ausgangspunkt für alle Überlegungen sein 

Nach Art 18 der Bundesverfassung darf die Verwaltung nur aufgrund der Gesetze ausgeübt werden. Die Regierung, die Asylbehörden, die Polizei, das Bundesheer, sie alle sind an die Gesetze gebunden. Die Rechtslage muss daher Ausgangspunkt für alle Überlegungen sein, wie der Zustrom von Menschen vor allem aus Syrien, dem Irak, aus Afghanistan, aus Marokko, Algerien und Libyen bewältigt werden kann.

Österreich ist Vertragsstaat der Genfer Flüchtlingskonvention und hat die sich daraus ergebenden Verpflichtungen im Asylgesetz umgesetzt. Darin wird bestimmt, dass jeder einzelne Fall geprüft werden muss, wenn ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird. Unter welchen Voraussetzungen Schutz zu gewähren ist, ist genau definiert. Internationaler Schutz umfasst sowohl Asyl als auch subsidiären Schutz.

Wann ist Österreich zuständig?

Bevor ein Antrag auf internationalen Schutz inhaltlich geprüft wird, muss festgestellt werden, ob Österreich überhaupt dafür zuständig ist. Ist Österreich nicht zuständig, dann ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen. Nicht zuständig ist Österreich für Anträge, wenn der Antragsteller Schutz in einem sicheren Drittstaat finden kann.

Wann ist ein Drittstaat ein sicherer Drittstaat?

Ein Drittstaat ist ein Staat, der weder ein Mitgliedstaat der EU noch die Schweiz, Liechtenstein, Norwegen oder Island ist. Schutz in einem sicheren Drittstaat kann der Antragsteller finden, wenn er dort einen Antrag auf internationalen Schutz stellen kann, sich während des Verfahrens dort aufhalten darf und auch nicht fürchten muss, in seinen Herkunftsstaat abgeschoben zu werden (§ 4 Abs 2 Asylgesetz). Die Zurückweisungsentscheidung tritt allerdings außer Kraft, wenn der Antragsteller, ohne dies selbst verantworten zu müssen, binnen drei Monaten nach ihrer Durchsetzbarkeit aus faktischen Gründen nicht zurückgeschoben oder abgeschoben werden kann (§ 4 Abs 5 Asylgesetz). Dann muss Österreich das Verfahren durchführen.

Die Dublin Verordnung

Nicht zuständig ist Österreich auch, wenn ein anderer EU Mitgliedstaat aufgrund der Dublin Verordnung zur Prüfung des Antrags zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist (§ 5 Abs 1 AsylG).

Art 3 der Dublin Verordnung bestimmt, dass die Mitgliedstaaten jeden Antrag auf internationalen Schutz prüfen, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft.

Zuständig ist bei einer – in der Regel illegalen – Einreise jener Mitgliedstaat, dessen Grenze der Antragsteller zuerst überschritten hat. Die Zuständigkeit endet 12 Monate nach dem illegalen Grenzübertritt (Art 13 Abs 1 Dublin Verordnung). Kann dieser Staat nicht festgestellt werden oder ist er wegen Zeitablaufs nicht mehr zuständig, dann ist jener Mitgliedstaat zuständig, in dem sich der Antragsteller mindestens fünf Monate ununterbrochen aufgehalten hat. Trifft das auf mehrere Mitgliedstaaten zu, dann ist jener Mitgliedstaat zuständig, in dem er sich zuletzt mindestens fünf Monate aufgehalten hat (Art 13 Abs 2 Dublin Verordnung).

Zurück nach Griechenland?

2011 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass Asylwerber nicht nach Griechenland zurückgeschickt werden dürfen, weil das dortige Asylsystem grobe Mängel aufweist (application no 30696/09). Auch der Europäische Gerichtshof hat ausgesprochen, dass ein Asylwerber nicht an einen Staat überstellt werden darf, in dem er Gefahr läuft, unmenschlich behandelt zu werden (C-411/10; C-493/10).

Geht man davon aus, dass die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 2011 beanstandeten Mängel in Griechenland bisher nicht behoben wurden, und verläuft der weitere Fluchtweg über Bulgarien, Rumänien und Ungarn, über die Slowakei oder Tschechien oder auf dem Seeweg über Italien oder Slowenien, dann hat einen Anspruch auf ein ordnungsgemäßes Verfahren, wer an der österreichischen Grenze oder auf österreichischem Staatsgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz stellt. In diesem Verfahren ist zuerst zu prüfen, ob Österreich zuständig ist.

Ergibt die Prüfung, dass Griechenland zuständig wäre, dann darf der Antragsteller nicht nach Griechenland überstellt werden, solange die beanstandeten Mängel des Asylsystems nicht behoben sind.

Nach der Dublin Verordnung ist nicht eindeutig, wie vorzugehen ist, wenn der Antragsteller auf dem Landweg von Griechenland über Mazedonien weiterreist. Mazedonien ist ein Drittstaat; der Antragsteller reist daher aus einem Drittstaat in Kroatien/Ungarn und/oder Slowenien ein. Er betritt damit in diesen Staaten das erste Mal einen Mitgliedstaat der EU und daher müsste, streng genommen, dieser Staat das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz durchführen. Aus österreichischer Sicht müsste daher Ungarn oder Kroatien oder gegebenenfalls Slowenien den Antrag auf internationalen Schutz prüfen, auch wenn der Antragsteller zuvor in Griechenland war.

Österreich könnte die auf diesem Weg gekommenen Antragsteller nach Ungarn, Kroatien oder Slowenien überstellen. Ansonsten darf jemand nur dann in einen dieser Staaten überstellt werden, wenn er sich dort durchgehend mehr als fünf Monate aufgehalten hat. Wenn er auch in keinem anderen Mitgliedstaat durchgehend mehr als fünf Monate war, muss Österreich das Verfahren durchführen.

Sonderregelungen gelten für jene Fälle, in denen Familienmitglieder bereits in einem Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt oder internationalen Schutz erhalten haben.

Ist Österreich zuständig …

Ist Österreich zuständig oder nimmt es seine Zuständigkeit aus humanitären Gründen wahr, dann ist in einem ordnungsgemäßen Verfahren zu prüfen, ob der Antragsteller „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden“ nicht in seinem Heimatland Schutz suchen kann. Wird dies festgestellt, ist ihm Asyl zu gewähren. Wird eine solche Verfolgung verneint, dann ist zu prüfen, ob subsidiärer Schutz zu gewähren ist. Subsidiärer Schutz wird gewährt, „wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK,  Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde“ (§ 8 Abs 1 Asylgesetz).

Solange das Asylverfahren nicht abgeschlossen ist, kann ein Antragsteller nicht abgeschoben werden. Wird Asyl gewährt, dann hat der Asylberechtigte Zugang zu Sozialleistungen, wie sie Staatsbürgern gewährt werden; bei subsidiär Schutzberechtigten können Sozialleistungen auf Kernleistungen beschränkt werden. Das ist zumindest eine Mindesteinkommensunterstützung sowie Unterstützung bei Krankheit oder bei Schwangerschaft und bei Elternschaft, soweit diese Leistungen nach dem nationalen Recht eigenen Staatsangehörigen gewährt werden.

Spielraum bei Sozialleistungen?

Solange die Massenzustromrichtlinie der EU nicht durch einen Beschluss des Rates der EU aktiviert wird – was bisher nie der Fall war -, hat Österreich einen nicht näher beschränkten Spielraum bei Sozialleistungen, die Vertriebenen gewährt werden. Vertriebene sind Menschen, die wegen eines gewaltsamen Konflikts ihr Land verlassen haben. Ihnen kann die Bundesregierung durch eine im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats erlassene Verordnung ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht gewähren (§ 62 Asylgesetz).

Nach dem Grenzkontrollgesetz haben Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Grenze zu kontrollieren, soweit nicht aufgrund des Schengener Übereinkommens keine Personenkontrollen an Binnengrenzen stattfinden. Aus Gründen der öffentlichen Ordnung und nationalen Sicherheit dürfen an den Binnengrenzen für einen begrenzten Zeitraum Personenkontrollen durchgeführt werden (Art 2 Schengener Übereinkommen).

Kontrolliert wird die Grenze durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (§ 12 Grenzkontrollgesetz). Sie können ihre Befugnisse bei Bedarf mit unmittelbarer Zwangsgewalt durchsetzen (§ 50 Sicherheitspolizeigesetz). Waffengebrauch ist zulässig, wenn ungefährliche oder weniger gefährliche Maßnahme nichts nützen, wobei der Gewalteinsatz immer verhältnismäßig sein muss (§§ 2, 4 Waffengebrauchsgesetz).

Die Schlussfolgerungen daraus lesen Sie im Beitrag „Für einen ehrlichen und pragmatischen Zugang in der Flüchtlingsfrage“ 

 

Irmgard Griss, Juristin

Hon.-Prof. Dr. Irmgard Griss, LL.M., war Richterin, von 2007 bis zu Ihrer Pensionierung Ende 2011 Präsidentin des Obersten Gerichtshofs (OGH); 2010/2011 Präsidentin des Netzwerks der Höchstgerichtspräsidenten der Europäischen Union.
Irmard Griss will für mehr Ehrlichkeit, Mut und Verantwortung in der Politik eintreten. Sie kandidiert für das Amt der Bundespräsidentin.

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