Über das Impfen sprechen und schreiben

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Ganz allgemein:

Der folgende Text – dieses Booklet – will niemandem etwas vorschreiben. Wer anders über das Impfen sprechen und schreiben will, kann das tun. Aber eine sorgfältige Wortwahl ist niemals falsch. Sondern die Grundlage wertschätzender Kommunikation. Das ist unser Bemühen.

Dazu können alle Kommunikatorinnen und Kommunikatoren, vor allem aber alle Medienleute Beiträge leisten. Dieses Booklet möge ihnen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – eine kleine Hilfe sein.


Englisch/ Wissenschaftssprache/ Deutsch

Ein Teil der Missverständnisse ist: Begriffe werden aus dem Englischen und/oder der Wissenschaftssprache weitgehend unreflektiert in die deutsche Alltagssprache übertragen.

Ein gutes Beispiel ist „herd immunity“, die als „Herdenimmunität“ allgemein verwendet wird. In der (englischen) Wissenschaftssprache mag das Wort perfekt sein. In der deutschen klingt es nach Kuh- oder Schafherde. Und einer solchen wollen wir nicht angehören.

Manche englischen Begriffe werden im Deutschen auch verschärft oder dramatisiert.

Sprachliche Achtsamkeit kann übertriebene Erregung verhindern.


Grundlegendes

Seien wir so kurz wie möglich und so wortreich wie notwendig.

Beachten wir: Das Medium bestimmt die Sprache. Gesprochen ist nicht geschrieben. Medieninformation ist nicht Social Media. Magazin-Text ist nicht Presseaussendung.

Beachten wir auch: Grundbegriffe gelten immer und überall. Zeitnot ist kein Grund für ungenaue Sprache, nur eine Ausrede.


Begriffe

Drittstich: → Stich.

Durchimpfungsrate: Ein technischer Begriff, der besagt, wie viel Prozent der (impfbaren) Bevölkerung geimpft sind. → Impfbeteiligung bedeutet dasselbe, klingt aber positiver.

Einmal-Impfung: Beim Corona-Impfstoff von Janssen (Johnson & Johnson) sollte ursprünglich eine → Dosis reichen. Das Nationale Impfgremium (NIG) in Österreich empfiehlt seit 29. September 2021 eine Auffrischung, bevorzugt mit einem  → mRNA-Impfstoff oder auch mit dem COVID-19-Vaccine Janssen (Johnson & Johnson).

Erststich: → Stich.

Gemeinschaftsschutz: Eine positive Alternative zum Wort → Herdenimmunität.

Gruppenschutz: → Gemeinschaftsschutz.

Herdenimmunität: Der Begriff ist eine wortwörtliche Übersetzung aus dem Englischen (herd immunity). Er klingt negativ, weil damit eine Tierherde assoziiert wird. Daher ist → Gemeinschaftsschutz (oder → Gruppenschutz) das bessere Wort.

Impfdosis, Dosis: Neutraler Begriff als Alternative zum Wort → Stich (in der deutschen Variante → Pieks/Piks). Klingt nur technokratischer als Impfung.

Impfnebenwirkung: Das Wort „Nebenwirkung“ ist ein medizinischer Fachbegriff. Als „Nebenwirkung“ gilt jede Reaktion, die schädlich UND unbeabsichtigt ist.

Impfreaktion: Unter einer Impfreaktion versteht man Beschwerden, die im Rahmen der Immunantwort auf eine Impfung prinzipiell und naturgemäß auftreten können und ohne pathologische Bedeutung sind.

Impfschaden: Begriff aus dem Infektionsschutzgesetz, der „gesundheitliche und wirtschaftliche Folgen einer über das übliche Ausmaß hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch eine Schutzimpfung“ bezeichnet. Dabei muss immer überprüft werden, ob die Impfung tatsächlich Ursache ist, oder ob es nur einen zufälligen zeitlichen Zusammenhang gibt.

Impfaufklärung: Jede medizinische Aufklärung ist für den Patienten ein wichtiger Schritt zur Sicherheit, Impfaufklärung daher auch.

Impfbeteiligung: → Durchimpfungsrate

Impfdokumentation: Im Impfpass (auch im elektronischen) werden Impfdatum, Impfstoff, Chargennummer und der Name der Ärztin/des Arztes vermerkt, die/der die Impfung durchgeführt hat. Die Impfdokumentation gehört zur Impfung. Impfdurchbruch: Von einem Impfdurchbruch wird gesprochen, wenn die Schutzwirkung einer Impfung ausbleibt.

Impfgespräch: Mündliche Aufklärung durch Ärztinnen und Ärzte über die Impfung.

Impfpflicht: Ein in der Öffentlichkeit heiß diskutiertes Thema ist, ob ein Staat seine Bürgerinnen und Bürger (oder auch nur bestimmte Berufs- oder Bevölkerungsgruppen) verpflichten darf, sich gegen von Mensch zu Mensch leicht übertragbare Infektionskrankheiten impfen zu lassen. „Impfpflicht“ hat mehrere Dimensionen. Sie kann direkte Strafen für Verweigerinnen und Verweigerer bedeuten. Sie kann den (teilweisen) Entzug von Sozialzahlungen nach sich ziehen. Sie kann die Übernahme von Kosten im Schadensfall (wenn etwa eine schwere Krankheit als Folge der Impfverweigerung auftritt) heißen. Sie kann auch den Zugang zu bestimmten Berufen und Einrichtungen oder auch nur das Reisen oder den Besuch der Gastronomie erschweren bzw. unmöglich machen. Die Debatte wird oft grundsätzlich und nicht selten vereinfacht geführt.

Impfschaden: Der Begriff „Impfschaden“ ist gesetzlich definiert. Das gilt auch für die aus einem Impfschaden entstehende Haftung (der Republik Österreich) und die Entschädigungsansprüche.

Impfung: Der neutrale Begriff. Aber es kommt auch immer auf das danach verwendete Zeitwort an. Eine „Impfung setzen“ klingt unsensibel. Eine „Impfung durchführen“ oder „geben“ ist wertfrei.

Impfwirkung = Schutzwirkung von Impfungen: Deswegen werden Impfungen gemacht. Sie sollen schützen.

Impfzwang: Die eindeutig negativ gemeinte Alternative zum Begriff → Impfpflicht.

Inaktivierter Impfstoff: → Tot-Impfstoff

Jugendliche: → Kinder

Jugendimpfung: → Kinderimpfung

Kinder: Bei der Corona-Impfung wird über das Impfen von „Kindern“ gesprochen, wenn 12–17-Jährige gemeint sind. Dabei fühlen sich 16- oder 17-jährige Jugendliche sicher nicht als „Kinder“, 12- oder 13-Jährige sind aber sicher gerne Jugendliche. Also sollte der Begriff „Jugendliche“ verwendet werden, wenn von 12–17-Jährigen die Rede ist.

Kinderimpfung: Eine → Impfung für 12–17-Jährige ist zumindest im Sprachverständnis der 12–17-Jährigen keine Kinder-, sondern eine → Jugendimpfung.

Lebend-Impfstoff: Die Krankheitserreger darin sind vermehrungsfähig. Sie wurden jedoch so abgeschwächt, dass sie die Krankheit, vor der sie schützen, in der Regel nicht auslösen können.

mRNA-Impfstoff: Er bringt wie die Vektor-Impfstoffe auch den genetischen Bauplan einer Fremdsubstanz in den Körper ein, der dann Antikörper entwickelt. Man könnte also auch von Bauplan-Impfstoffen oder genbasierten Impfstoffen sprechen. Der Begriff „Bauplan-Impfstoffe“ erklärt zwar die Wirkungsweise gut, ist aber unüblich. Stattdessen wird negativ von genmanipulierten Impfstoffen gesprochen. Wer positiv kommunizieren will, sollte den Begriff „Bauplan-Impfstoff“ einführen oder – neutral – das Wort „genbasiert“ statt „genmanipuliert“ verwenden. Eine Vielzahl von Medikamenten wird unter Zuhilfenahme der Gentechnik hergestellt, z. B. Insulin, moderne Rheuma-Medikamente oder auch Viagra.

Pieks/Piks: Das vor allem in Deutschland gerne verwendete, umgangssprachliche Gegenstück zum Wort „Stich“. Auch dieses Wort reduziert die Impfung auf den Vorgang des „Stechens“ oder „Pieksens/ Piksens“. Also warum nicht das umfassendere Wort → „Impfung“ verwenden?

Schutzimpfung: Die positive Alternative zur neutralen → Impfung oder zum negativen → Stich. Das Wort weist klar auf den Sinn des Impfens hin – Schutz zu geben vor Infektion, schwerer Erkrankung, Spitalsbehandlung oder gar Intensivstation.

Stich, Erststich, Zweitstich, Drittstich: „Stich“ klingt immer bedrohlich. → Impfung oder → Dosis ist dagegen neutral. Also → -impfung statt „-stich“ verwenden, um keine negativen Gefühle auszulösen.

Tot-Impfstoff: Ein alternativer Begriff ist „inaktivierter Impfstoff“, weil die Krankheitserreger darin „abgetötet“ sind. Aber „tot“ klingt düster. „Inaktiviert“ tut es nicht.

Vakzin: Aus dem Englischen, ursprünglich aus dem Lateinischen stammendes Lehnwort als Alternative zum → Impfstoff. Es kommt daher, dass der erste Impfstoff (gegen Pocken) als „vaccinus“ (von der Kuh, vacca) bezeichnet wurde. Auch wenn längst kein Impfstoff mehr von der Kuh stammt, hält sich Vakzin hartnäckig. Im Englischen ist „vaccine/vaccination …“ zum einzig verwendeten Wort für → Impfstoff/→ Impfen geworden. Im Deutschen wird der Begriff Vakzin zunehmend verwendet, möglicherweise um Abwechslung in Texte zu bringen, vielleicht aber auch, weil er kompetent klingt.

Wirksamkeit: Das Wort bedeutet im konkreten Zusammen, dass durch eine → Impfung das Risiko einer Infektion, einer Erkrankung bzw. des schweren Verlaufs einer Krankheit deutlich gesenkt wird.

Wissenschaftssprache: Viele Begriffe (nicht nur, aber auch) zum Impfen werden 1:1 aus der Wissenschaftssprache über nommen. Was aber dort präzise ist, klingt in der allgemeinen Sprache oft negativ und wird nicht selten mit einer anderen Bedeutung verwendet. Also sollten Begriffe aus der Wissenschaftssprache niemals unreflektiert benutzt werden.

Zweitstich: → Stich


Bilder

Würden wir, um den Urlaub zu illustrieren, fast nur Fotos vom Stau auf der Autobahn zeigen? Nein? Aber Impfen wird fast immer mit dem „Einstich“ illustriert. Ist das sinnvoll? Sicher nicht, wenn man den Sinn des Impfens darstellen will.

Andere Motive sind:

  • Gut gestimmte Person mit Pflaster an der Impfstelle – Schutz
  • Impfpass offline oder online – Dokumentation des Impfschutzes
  • Arzt und Patient im persönlichen Gespräch – Aufklärung und Information
  • Reisen, Gastronomie … – was Geimpften möglich ist.

Zahlen, Daten, Statistiken

Immer möglichst „frische“ (aktuelle) Daten verwenden. Vergleichbarkeit gewährleisten. Die Zahl der Impfungen in Wien und dem Burgenland zu vergleichen, ist nur dann sinnvoll, wenn sie in Beziehung zu den Bevölkerungszahlen der beiden Bundesländer gestellt werden. Wien hat 1.911.191 Einwohner·innen, das Burgenland 294.436 (Statistik Austria, Stand 1. 1. 2020). Keine absoluten Zahlen verwenden, wenn sie relativ aussagekräftiger sind. Beispiel: 314 vermutete Impfdurchbrüche klingt nicht wenig. Aber bezogen auf 8.523.713 Impfungen (Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen: Bericht über Meldungen vermuteter Nebenwirkungen nach Impfungen zum Schutz vor COVID-19 – Berichtszeitraum 27.12.2020–09.07.2021) sind es 0,0037 Prozent.

Quelle und Erfassungszeitpunkt oder -zeitraum angeben.


Expertinnen & Experten

sind wichtige Informationsquellen, nicht nur, aber ganz speziell zu Corona-Fragen. Aber Expertinnen und Experten haben Expertise nur im Rahmen ihres jeweiligen Fachgebiets. Eine Virologin, ein Infektiologe und eine Epidemiologin sind nicht gleichzusetzen. Sie pauschal als Expertinnen und Experten zu adressieren, ist daher nicht zulässig. Dazu kommt, dass auch Expertinnen und Experten ihre ganz persönlichen Erfahrungen haben. Je weiter sich Fragen von ihrem konkreten Fachgebiet entfernen, desto stärker fließt persönliche Erfahrungen, Erlebnisse und Bedürfnisse in die Antworten ein.


Warum dieses Booklet gemacht wurde

Die Corona-Pandemie belastet und sie verunsichert. Das zeigen viele Studien. Durch Genauigkeit in der Kommunikation lässt sich die Irritation vielleicht etwas lindern.

Endgültig richtig kann dieses Booklet keinesfalls sein. Die Erkenntnisse über das SARS-CoV2 und COVID-19 wachsen in atemberaubender Geschwindigkeit. Die Regeln, die diesen Erkenntnissen folgen, verändern sich ebenso rasch. Das können wir nicht beeinflussen. Die Kommunikation darüber aber schon.

Martin Novak
Martin Novak geschäftsführender Gesellschafter der CONCLUSIO PR Beratungs GmbH mit langjähriger Erfahrung in der Gesundheitskommunikation und Chefredakteur des Monatsmagazins AERZTE Steiermark.

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