Pensionsmonitoring – virtuelle Debatte einer realen Themenverfehlung

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Im Arbeitsprogramm der Bundesregierung wurde ein (halbjähriges) Monitoring vereinbart, in dem unter anderem die Entwicklung des Pensionsantrittsalters dargestellt und dem vereinbarten Zielpfad gegenübergestellt wird: Das faktische Pensionsalter soll – dank der umzusetzenden Regierungsmaßnahmen – von 58,4 Jahre (2012) auf 60,1 Jahre (2018) ansteigen, d.h. 2016 den Wert von zumindest 59,5 Jahren erreichen.

Gemäß Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (BMASK) stieg das faktische Pensionsantrittsalter 2016 auf 60,33 Jahre und liegt somit über dem Zielpfad. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Bundeszuschuss zwischen 2016 und 2019 im aktuellen Bundesfinanzrahmen im Vergleich zum vorigen Bundesfinanzrahmen um rd. 2,6 Mrd. € niedriger ausfällt.

„Das Sozialministerium schönt die Zahlen und verschweigt die Wahrheit“ – so berichteten Medien, die Pressesprecherin von Finanzminister Schelling zitierend. Dass solche Sprechblasen („Fake news“) im Polit-PR-Jargon dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit der Politik insgesamt schaden, ist hinlänglich bekannt. Auch Vizekanzler Mitterlehner hat darauf verwiesen: „Es sei nicht gut, wenn in der Regierung einer den anderen qualifiziere“. Daher stellt sich die Frage, ob die Reaktion des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) auf das aktuelle Pensionsmonitoring (Jahresbericht 2016) des BMASK zumindest sachlich fundiert ist.

Ein Faktencheck des BMF habe ein Antrittsalter von 59,2 Jahren ergeben (selbst ohne Rehageld-Bezieher nur 59,9 Jahre). Das Regierungsziel sei nicht erreicht worden. Diese BMF-Aussage ist allerdings nur in Hinblick auf die 59,2 Jahre richtig, d.h. wenn zur Berechnung des faktischen Antrittsalters bei den Neuzugängen auch Bezieher von Rehabilitationgeld einbezogen werden [Anm.: Das BMF entnahm die genannten Werte einer aktuellen Publikation des Hauptverbandes (HVB) der Sozialversicherungsträger; der Hinweis, der HVB würde die Zahlen des BMF „bestätigen“, ist daher nicht ganz korrekt].

Welche Personen sind in der Berechnung des faktischen Pensionsantrittsalters zu berücksichtigen?

Folgende Fragen sind zu beantworten: Sind zur Berechnung Bezieher von Rehabilitationsgeld einzubeziehen? Und wie ist die Bereinigung vorzunehmen?

Mit dem Sozialrechtsänderungsgesetz 2012 (siehe die Erläuterungen RV 2000 BlgNR 24. GP 20) wurde die befristete Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitspension abgeschafft (für Personen ab Geburtsjahrgang 1964). Bei Vorliegen einer vorübergehenden Invalidität (Berufsunfähigkeit) von mindestens sechs Monaten ist ein Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung bzw. ein Umschulungsgeld aus der Arbeitslosenversicherung vorgesehen. Der Gesetzgeber hat in diesem Bereich einen Wandel vom alimentierenden zum aktivierenden Sozialstaat vollzogen.

Der ökonomisch unbestrittenen Qualifikation des Rehabilitationsgeldes als Leistung der Krankenversicherung und nicht der Pensionsversicherung ist auch die Judikatur des OGH gefolgt (aktuell in 10 ObS 133/15d), der seinerseits damit auch der Rechtsprechung des EuGH folgt: Rehabilitationsgeld als aktivierende Maßnahme der medizinischen Rehabilitation ist grundsätzlich als Leistung bei Krankheit zu qualifizieren.

Es müsste somit (auch innerhalb der Bundesregierung) unbestritten sein, dass Rehabilitationsgeld-Bezieher nicht in die Berechnung des faktischen Pensionsantrittsalters einfließen sollen: Demzufolge liegen sowohl die Berechnungen des BMASK (60,33 J), als auch jene des HVB (59,9 J), auf die sich das BMF beruft, über dem Regierungsziel für 2016 (59,5 J).

Worin unterscheiden sich die Berechnungen des HVB und des BMASK? Der HVB wertet Personen als erstmaligen Pensionsneuzugang, die nach dem Bezug einer befristeten Invaliditätspension unter 50 und nach einem Weitergewährungsantrag in Rehabilitationsgeld übergingen und nun nach erfolgter Rehabilitation als dauerhaft berufsunfähig eingestuft wurden. Das BMASK nimmt (sinnvollerweise) diese Fälle aus der Auswertung der erstmaligen Pensionsneuzugänge heraus: 2016 waren das 2.165 Fälle. Anderenfalls wären diese Personen doppelt in der Statistik gewertet, einmal als erstmaliger Neuzugang zu einer befristeten Invaliditätspension in den Jahren vor 2014, ein zweites Mal im Jahr 2016.

Ist der Indikator „faktisches Pensionsalter“ relevant?

In der Regel wird das Pensionsalter einfach (und verzerrend) als Differenz zwischen Pensionsantritts- und Geburtsjahr berechnet („Standardmethode“ des HVB, ebenfalls im Jahresmonitoring des BMASK). Genauer wäre eine stichtagsbezogene Berechnung. So zeigt ein Bericht der Pensionskommission, dass dies zu deutlichen Abweichungen führen kann (inkl. demographischer Bereinigungen sogar über ein Jahr!).

Anders als die öffentliche Diskussion suggeriert (und das Arbeitsprogramm der Regierung spezifiziert) ist das faktische Pensionsantrittsalter für die Sicherstellung eines langfristig nachhaltigen Pensionssystems kaum relevant: Bei versicherungsmathematisch korrekten Zu- und Abschlagsfaktoren zur Pensionshöhe würde der budgetäre „Gewinn“ eines späteren Antritts genau einem budgetären „Verlust“ einer dann höheren Pension entsprechen. Aktuell gewinnt das Pensionssystem budgetär nur in dem Ausmaß der im „Altrecht“ vermutlich zu geringen Abschlagsfaktoren von 4,2% (inkl. 15% Verlustdeckelung) und den je nach Berechnungsart „richtigen“ Faktoren, siehe z.B. die Studie Versicherungsmathematisch korrekte Pensionsabschläge. [Anm.: Korridorpension Abschlag 5,1% ohne Deckelung, Schwerarbeiter deutlich niedriger]. Auf diesen – quantitativ geringen – Effekt einer Erhöhung des faktischen Pensionsalters hat bereits EcoAustria im November 2013 hingewiesen.

Aber selbst als (kurzfristiger) Indikator dafür, ob Maßnahmen „wirken“, ist das Regierungs-Monitoring des faktischen Pensionsalters nur bedingt geeignet: Gehen aufgrund von „erfolgreichen“ Maßnahmen zunehmend mehr Personen, deren Alter über dem aktuellen faktischen Pensionsalter liegt, doch nicht in Pension, kann das faktische Pensionsalter sogar sinken (sofern es nicht durch unter dem Durchschnitt liegende Personen und deren Nicht-Pensionsantritt überkompensiert wird)!

Lehre aus dem Disput BMASK – BMF

Die Pensionsversicherungsträger haben den Krankenversicherungsträgern die durch Auszahlung des Rehabilitationsgeldes entstandenen Kosten (u.a. auch Krankenversicherungsbeiträge) zu ersetzen (§143c ASVG). Damit wird das Rehabilitationsgeld inkl. KV-Beiträge (2016: 331 Mio. €) indirekt durch Beiträge zur Pensionsversicherung finanziert. Diese finanziert bislang auch Maßnahmen der „Gesundheitsvorsorge und Rehabilitation“ (Stichwort: Kur) 2016 in Höhe von 1,121 Mrd. €.

Im Sinne einer (ökonomischen) Budgetwahrheit bzw. -transparenz in der Pensionsversicherung wäre die Herausnahme (zumindest) dieser – nicht dem Pensionssystem zuordenbaren Leistungen – geboten. Sie sollten im Gesundheitssystem berücksichtigt werden. In ökonomischer Betrachtung wäre der Bundeszuschuss zur Pensionsversicherung also um rd. 1,5 Mrd. € niedriger als gegenwärtig in der Budget-Rubrik UG22 ausgewiesen.

Peter Brandner, Die Weis[s]e Wirtschaft

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