Peter Brandner erwidert der Replik von Dénes Kucsera zur Kalten Progression (Die Presse)

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Dénes Kucsera von der Agenda Austria versucht eine Kritik – und scheitert grandios

In der als Blog-Beitrag gestalteten Onlineversion meines Kommentars „Die Zukunft der kalten Progression (vom 30.5.2022) wurde ein Rechenfehler der Agenda Austria aufgezeigt. Das wäre in der Printausgabe in dieser Länge nicht möglich gewesen und ist daher ausgeblieben. Die in Print erschienene Replik nimmt aber darauf Bezug.

Um die Mehreinnahmen, die der Finanzminister aus der kalten Progression lukriert, korrekt berechnen zu können, müssten von allen steuerpflichtigen Personen die Einkommensdaten im Zeitverlauf vorliegen. Nur dann kann festgestellt werden, ob bzw. in welchem Jahr für den Steuerpflichtigen überhaupt eine Progression vorlag. Hat sich das Jahreseinkommen nicht erhöht, unterlag die Person gar keiner Progression, somit auch keiner kalten Progression. Wirtschaftsforschern liegen solche Verlaufsdaten nicht vor. In ihren statischen Modellen werden individuelle Einkommens- und Steuerdaten zu einem bestimmten Jahr abgebildet.

Um dennoch den dynamischen Progressionseffekt berechnen zu können, wird ein Trick angewandt: Allen (!) Steuerpflichtigen wird eine Nominallohnerhöhung in Höhe der Inflation unterstellt (konstanter Reallohn), dann der Progressionseffekt berechnet und aggregiert. So wird die maximal mögliche (!) kalte Progression berechnet, aber nicht jener Betrag, der ins Budget fließt: Der Wechsel in Pension oder in Teilzeit, Karenzzeiten, Arbeitslosigkeit – nicht immer hat sich das Jahreseinkommen erhöht. Diese methodisch bedingte, systematische Überschätzung betrifft die Agenda Austria genauso IHS, Wifo und andere, die diesen Mikro-Ansatz anwenden. Warum geht Kucsera auf diesen zentralen Aspekt nicht ein?

Einzig Statistik Austria liegen die Daten zu den Einkommensverläufen vor. So war es möglich, mit dem Mikro-Ansatz korrekt das Ausmaß der kalten Progression zu berechnen. Die Studie aus dem Jahr 2017 hat – Überraschung – jenen deutlich niedrigeren Betrag ergeben, den auch ich mit dem Makro-Ansatz berechne. Dabei wird – korrekt dynamisch – die kalte und reale Progression auf Basis gesamtstaatlicher Preis-, Einkommens- und Lohnsteuerdaten ermittelt.

Rechenfehler der Agenda

Der Rechenfehler der Agenda Austria ist in ihrer Publikation „Heiße Fakten zur kalten Progression“ dokumentiert: „Steigt das Einkommen stärker/schwächer als das Preisniveau, dann lässt sich die kalte Progression als . . . definieren“ – Das ist falsch, richtig müsste es heißen: „Steigt das Einkommen schwächer oder gleich wie das Preisniveau . . .“ Die dortige Formel entspricht, dem Text folgend, einem Tarif auf Rädern, der um das nominelle Lohnwachstum (kalte und reale Progression!) und nicht um die Inflation (nur kalte Progression) korrigiert.

Anders als Kucsera behauptet, bezieht sich diese Stelle nicht (nur) auf Schweden, sondern (auch) auf Österreich, schrieb er doch damals: „Für Arbeitnehmer wird die Auswirkung eines Reallohnwachstums von 0,6 Prozent untersucht, . . . (Statistik Austria).“

Wohlgemerkt: Maximal kalte Progression entsteht bei konstantem Reallohn, darüber sprechen wir von realer Progression.

Dass Kucsera aus einer Studie des Budgetdienstes, die meine Berechnungen gar nicht untersucht, als vermeintliches Argument gegen mich zitiert, beweist feine Ironie. Kommt doch der Budgetdienst dort zum Schluss: „Die Agenda Austria dürfte hingegen . . . bei der Hochrechnung der kalten Progression auf die Gesamtbevölkerung den Effekt der kalten Progression überschätzen.“ Folglich ist auch die Behauptung, Österreicher müssten bis ins Jahr 2025 über zehn Milliarden Euro Inflationssteuer zahlen, mehr Fake als Fakt.

(Die Presse, 7.6.2022)

(Ergänzend ein Leserbrief, 9.6.2022)

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