Peter Brandner zur Budgetloch-Diskussion und Politikversäumnisse (Die Presse)

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Wenn die Politik zu einem dilettantischen Propagandaspiel verkommt, bleibt der Sachverstand auf der Strecke.

Vorab, weil im kollektiven Bewusstsein kaum angekommen: Die österreichische Budgetpolitik unterliegt fiskalpolitischen Vorgaben der EU und befindet sich aktuell in einem Verfahren zum Abbau des „übermäßigen Defizits“. Im Stabilitätsprogramm 2012 bis 2017, das die Bundesregierung im April 2013 vorgelegt hat, ist der mittelfristige Konsolidierungspfad vorgegeben. Dessen ungeachtet haben sämtliche Parteien finanziell nicht gedeckte Wahlzuckerln versprochen.

Vor diesem Hintergrund haben sowohl der von den Regierungsparteien inszenierte Kassasturz als auch die von den Oppositionsparteien behauptete „umfassende Wählertäuschung“ Unterhaltungswert. Und mittendrin das Wifo mit seiner mittelfristigen Prognose.

Das Wifo übermittelt also Mitte Oktober 2013 dem Finanzministerium als Basis für den „Kassasturz“ die Einschätzung der Wirtschaftsentwicklung bis 2018 (Konjunktur- und Budgetentwicklung), in Kenntnis aller fiskalischen Maßnahmen bzw. Rahmenbedingungen (vor allem aus dem Stabilitätsprogramm). Basis für das Bundesfinanzrahmengesetz (BFRG) für 2014 bis 2017 ist die mittelfristige Prognose vom Jänner 2013.

Prognosen und Kassasturz

Der Unterschied zur aktuellen Vorschau ist jedoch gering. Er beträgt beim realen und nominellen (Letzteres ist für die Entwicklung der Steuereinnahmen relevanter) BIP-Wachstum in den Jahren 2014 bis 2017 gerade einmal plus/minus 0,1–0,2 Prozentpunkte. Wenig überraschend differieren auch die Budgetsalden kaum; das strukturelle (konjunkturbereinigte) Defizit fällt für 2017 sogar um 0,4 Prozentpunkte geringer aus als noch im Jänner 2013 prognostiziert.

In Kenntnis des auf seiner Prognose erstellten Kassasturzes „bestätigte“ der Wifo-Chef Anfang November einen „Fehlbetrag“ von (jährlich!) sechs bis acht Mrd. Euro, um nur wenig später der Öffentlichkeit obige Mittelfristprognose mit dem Vermerk „veralteter Informationsstand für den Sektor Staat“ zu präsentieren: Aufgrund der in der Regierung koordinierten Berechnungen dürfte das strukturelle Defizit kumuliert 2014 bis 2018 um 18,4. Mrd. Euro höher sein. Struktur und zeitliche Verteilung der Konsolidierungsmaßnahmen (um wieder auf den „alten“ Budgetpfad zu gelangen) könnten einen Einfluss auf das Wirtschaftswachstum haben.

So etwas hatten wir noch nie: eine gigantische, von der Regierung jedoch nicht explizit vermarktete Entlastung der Bürger um 18,4 Mrd. Euro (quasi auf Pump), und das Wifo übersieht ausnahmsweise den dadurch ausgelösten Wachstumsboom – natürlich zu Recht, weil diese Entlastung ja nicht kommen, sondern gleich wieder „wegkonsolidiert“ wird.

Wenn wir am Ende der Übung beim alten Budgetpfad landen, werden wir weder vom Budgetloch, noch von seiner Beseitigung etwas gemerkt haben – im Aggregat, Verteilungseffekte nicht ausgeschlossen.

Interessant ist die Betrachtung medial verbreiteter Teilbudgetlöcher (kumuliert 2014 bis 2018) im Kontext des aktuellen Bundesfinanzrahmengesetzes für 2014 bis 2017: bei den Pensionen (Bundesmittel) fehlen 8,7 Mrd. €, die Bankenhilfe schlägt mit 5,8 Mrd. € zu Buche, und aufgrund schwächerer Konjunktur geringere Steuereinnahmen in Höhe von 15 Mrd. Euro. Aktuell notwendige Anpassungen (unter anderem KESt, Finanztransaktionssteuer) rechtfertigen jedoch keine Hysterie.

Die Konjunktur ist jedoch nicht das Problem, vielmehr die Frage nach Substanz und Nachhaltigkeit der bereits beschlossenen Konsolidierungsmaßnahmen, das heißt des „Loipersdorf-Pakets“ sowie des 1. und 2. Stabilitätsgesetzes – waren da Maßnahmen bloß Hülle ohne Fülle? Der Leser ist eingeladen, die im aktuellen Stabilitätsprogramm bis ins Detail aufgelisteten Vorhaben auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen.

Ein vernachlässigbarer Punkt

In einer Analyse des parlamentarischen Budgetdienstes vom Mai 2013 wird kritisiert, dass im BFRG für 2014 bis 2017 die gegenüber dem BFRG für 2013 bis 2016 etwas niedrigere (reale) Wachstumsannahme „keinen budgetmäßigen Niederschlag“ gefunden habe. Für die Oppositionsparteien quasi ein Beweis, dass die Regierung bewusst geschönt hätte.

Dieser Punkt ist aber bei genauer Betrachtung vernachlässigbar. Entscheidender wäre eine Analyse struktureller Faktoren gewesen: Dann hätte der Budgetdienst erkennen müssen, dass dem BFRG für 2014 bis 2017 nicht die damals aktuelle Prognose der Pensionskommission vom September 2012 zugrunde gelegt war. Ergibt bereits bei Beschlussfassung im April 2013 eine Differenz von 4,4 Mrd. €, die sich durch die aktualisierte Vorschau der Pensionskommission vom Oktober 2013 auf 5,8 Mrd. Euro erhöht – ganz real! Mit dem nicht gedeckten Aufwand 2018 resultiert daraus die bekannte Summe von 8,7 Mrd. Euro.

Reform des Pensionssystems

Es entsteht der Eindruck, dass bereits beschlossene Maßnahmen politisch ein zweites Mal verkauft werden, versehen mit dem Zusatzvermerk „Schauen wir mal, wie es wird“. Höhere Ab- bzw. Zuschlagsfaktoren bei Abweichung vom Regelpensionsalter machen das System zwar „generationengerechter“, die notwendige budgetäre Nettoentlastung wird dadurch nicht erreicht.

Wünschenswert wäre es daher, im Sinne einer finanziellen Nachhaltigkeit die „erste Säule“ des Pensionssystem vom (klassischen) leistungsorientierten zu einem beitragsorientierten System zu reformieren. Fairness innerhalb und zwischen den Generationen wie auch zwischen Berufsgruppen wäre so herstellbar.

Die automatischen Anpassungen würden die jüngeren Generationen vor der Laune wahlkämpfender Politiker („kein akuter Handlungsbedarf“) schützen, die in der Regel nur ungenügende Reformschritte setzen.

Wenig überraschend empfahl auch der Rat der EU, unter anderem die Harmonisierung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters von Frauen und Männern zu beschleunigen und das gesetzliche Pensionsalter an die Lebenserwartung zu koppeln.

Dead Bank oder Bad Bank?

Entgegen dem Mainstream wäre für die Hypo Alpe Adria nicht eine Bad Bank, sondern eine Dead Bank die für den Steuerzahler günstigste Variante – laut Finanzprokuratur brächte das eine Ersparnis gegenüber anderen Lösungen von 5,3 Mrd. Euro. Die Bad-Bank-Lösung liegt jedoch im Interesse der meisten Beteiligten, deren mögliches Versagen der letzten Jahre so durch eine öffentlich akzeptierte Verlustvariante verdeckt wird.

Daher haben wichtige Bad-Bank-Befürworter – bei so einem Thema absolutes Tabu – den Weg in die Medien beschritten. Mit Argumenten, die einer tief gehenden Analyse nicht standhalten. Wohl wissend, dass erst dadurch jene Reaktionen ausgelöst werden, die eine Insolvenzvariante scheitern lassen würden.

Vermutlich hätte aber auch so der Politik der Mut gefehlt. Sie fokussiert lieber auf virtuelle Budgetlöcher, statt reale Versäumnisse zu korrigieren.

(Die Presse, 9.12.2013)

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